Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
bisschen alttestamentarisch«, sagte Hollins.
»Finden Sie? Tja, da stehen doch die besten Stellen drin, oder nicht? Auch Regeln für das Überleben in einer primitiven Gesellschaft.«
»Und Sie haben überlebt.«
»Könnte man sagen. Die Zeit hat geholfen. Die gute alte Zeit. Die ist entscheidend, sogar im Gefängnis. Wenn du lange genug drin bist, reagieren die Leute irgendwann auf dich selbst und nicht mehr darauf, wofür man dich verknackt hat.«
Im Verlauf der folgenden Wochen erlebte Hollins, dass ein ähnlicher Prozess auch hier ablief. Die anfängliche Empörung klang ab, und weitere bürgerwehrähnliche Übergriffe blieben aus. Vielleicht trug die Nachricht, dass Sneck ihn adoptiert hatte, dazu bei. Wie sich herausstellte, war der Hund nämlich in der Gegend als unnahbarer Einzelgänger bekannt, schwerer zu fassen als ein Fuchs und gefährlich wie ein Killer. Er wäre schon längst erschossen worden, wenn es einem der hiesigen Farmer gelungen wäre, ihn vor die Flinte zu bekommen. Haddas eigener Kommentar, Gleich und Gleich gesellt sich gern , wurde oftmals wiederholt.
Ebenso hilfreich war, dass niemand dem heimgekehrten und unversöhnlichen verlorenen Sohn vorwerfen konnte, er trete provozierend auf. Hadda hielt sich vom Dorf fern, wenngleich gelegentlich berichtet wurde, seine einsame, hinkende Gestalt sei auf Streifzügen durch die Gegend gesichtet worden. Nie sprach ihn jemand an. Selbst wenn einer das gewollt hätte, waren Sneck und die Tatsache, dass Hadda meist eine große Axt bei sich trug, abschreckend genug. Manchmal hallte das Geräusch einer Axt aus irgendeinem entlegenen Winkel des Waldes durch die kühle Luft.
»Hört sich an, als würde ein Mann auf etwas einschlagen, das er hasst, und nicht bloß einen Baum fällen«, meinte Joe Strudd, der nächste Nachbar.
»Stört es dich nicht, dass er so nah bei deiner Farm wohnt, Joe?«, erkundigte sich Len Brodie, der Kirchenvorsteher.
Strudd, ein überzeugter Freikirchler, der Anglikaner für Papisten in Zivil hielt, sagte: »Gott hält die Hand über sein Volk. Aber wenn du der Nachbar von diesem Sauhund wärst, dann würde ich mir Sorgen machen!«
Jedes Mal, wenn jemand berichtete, Hadda gesehen zu haben, und dabei einen Hauch Mitleid mitschwingen ließ, weil er den vitalen, athletischen jungen Mann, der Hadda einst gewesen war, mit der schlurfenden, gebeugten, vernarbten und hinkenden Gestalt verglich, die aus ihm geworden war, wurde dies rasch mit der strengen Beteuerung abgetan, das sei nur die gerechte Strafe für seine widerwärtigen Sünden.
»In fünfzig Jahren werden Mütter ihren ungezogenen Sprösslingen mit Geschichten von einem Schwarzen Mann namens ›Der Hadda‹ Angst einjagen«, prophezeite Hollins.
»Hoffen wir mal, dass er sie nicht schon sehr viel früher in Angst und Schrecken versetzt«, sagte seine Frau Willa bissig.
Es war seltsam, dachte der Vikar. Willa, kinderlos und in den Augen vieler seiner Schäfchen unerhört liberal, war in ihrer Haltung gegenüber Hadda unerbittlich. Manchmal beschlich ihn der beunruhigende Verdacht, sie würde einen Übergriff auf ein junges Mädchen schon fast begrüßen, nur um sich bestätigt zu fühlen.
Hollins’ Lebensmittellieferungen waren natürlich rasch in aller Munde. Bald schwante ihm, welchen Preis er für die Botschaft von Toleranz und Verständnis, die er predigte, zahlen musste: Er war zu Haddas Hüter erkoren worden.
»Was treibt er denn so?«, wurde er oft gefragt – nur sehr wenige sprachen den Namen laut aus.
»Er lebt friedlich vor sich hin«, lautete die beruhigende Antwort, die sie hören wollten. »Sehr zurückgezogen, so will er es haben.«
Nur im Schloss kam er mit dieser banalen Antwort nicht durch.
Er wollte nicht an einen Zufall glauben, als er, sobald sich seine regelmäßigen Besuche in Birkstane herumgesprochen hatten, plötzlich auch mit ziemlicher Regelmäßigkeit zum Lunch aufs Schloss eingeladen wurde.
Als er der Einladung zum ersten Mal folgte, ignorierte Lady Kira ihn, bis er seinen Teller mit Germknödel und Vanillesoße vor sich stehen hatte. Lady Kira selbst rührte diesen Nachtisch niemals an, doch seit sie begriffen hatte, dass er für Sir Leon ebenso zum Feiertag gehörte wie Abendmahlswein und Oblaten, hatte sie als überzeugte Traditionalistin dafür gesorgt, dass er im Schloss stets serviert wurde.
Hollins merkte, ohne hinzusehen, dass sich ihre Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatte. Sie hatte diese Präsenz. Die Jahre, die Sir
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