Rache
fragte sich, ob er wohl versuchen würde, sie ins Freie zu zerren … oder ob er sich zu ihr hineinzwängen und mit seinen Messern auf sie einstechen würde.
18
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Als sie hörte, wie Toby die Treppe hinaufstieg, senkte Sherry den Kopf und schloss die Augen.
Gott sei Dank, dachte sie.
Auf einmal fingen ihre Augen zu brennen an, und dicke Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie hatte schwer mit sich zu kämpfen, um nicht hemmungslos loszuschluchzen.
Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte sie. Dass Toby mich weinen hört, zurückkommt und mich abschlachtet.
Was mache ich jetzt?, fragte sie sich.
Was macht er jetzt?
Er geht nach oben.
Vielleicht ist das ein Trick, um mich aus meinem Versteck zu locken. Tobys schwere Schritte wurden leiser, je höher er die Treppe hinaufstieg. Schließlich konnte Sherry sie überhaupt nicht mehr hören.
Ist er fort?, fragte sie sich.
Oder hockt er oben auf dem ersten Treppenabsatz und schaut hinunter in die Eingangshalle?
Er ist fort, sagte sie sich. Er muss schließlich zurück in Duanes Wohnung. Ohne seine Sachen ist er am Ende.
Außer, er hat sich einen Schlüssel in den Hintern gesteckt, aber dann hat er seine liebe Mühe, ihn wieder rauszuholen.
Wenn ich höre, dass er die Tür aufbricht, weiß ich, wo er ist. Erst dann kann ich etwas unternehmen.
Immer noch unter der Treppe kauernd, lauschte sie angestrengt.
Und wenn er die Tür nicht aufbricht?, fragte sie sich.
Er muss.
Aber vielleicht scheut er sich davor, so viel Lärm zu machen. Früher oder später kümmert sich bestimmt ein anderer Nachbar um die Sache.
Die können doch nicht alle taub sein oder die Hosen voll haben.
Jemand in diesem Haus muss doch eine Waffe haben, verdammt noch mal. Eine Waffe und den Mut, sie zu benützen. Mehr braucht es nicht, um diesen Mistkerl aufzuhalten, Leute!
Auf einmal wurde Sherry klar, dass Toby inzwischen längst vor Duanes Tür angelangt sein musste.
Was macht er bloß?
Na los, tritt schon die Tür ein!
Vielleicht hat er das schon, dachte sie. Und ich habe es nicht gehört.
Wieso habe ich nur geglaubt, dass ich es hier unten hören würde?
Vielleicht ist er jetzt schon in der Wohnung …
Oder er schleicht bereits die Hintertreppe hinunter, um sich von hinten an mich heranzupirschen.
Auf einmal bekam Sherry eine Gänsehaut.
Auf allen vieren schob sie vorsichtig den Kopf unter der Treppe hervor. Erst blickte sie durch die leere Eingangshalle zu der Glastür, dann schaute sie nach hinten in den Hausflur.
Niemand. Und keine offene Tür.
Sie fragte sich, ob sie den Gang entlanglaufen und mit den Fäusten an jede Tür trommeln sollte.
Der Lärm würde Toby sofort nach unten locken.
Aber würde ihr jemand aufmachen und sie hereinlassen?
Vielleicht.
Rasch genug, um sie vor Toby zu retten?
Nach allem, was sie bisher in diesem Haus erlebt hatte, wagte sie das zu bezweifeln.
Und selbst wenn jemand sie in die Wohnung ließ, konnte sie immer noch nichts für Jim tun. Außer die Telefonleitungen war inzwischen repariert worden oder die Person hatte ein Handy.
Fast jeder in L. A. hatte ein Handy.
Zumindest im Auto.
Oder in einem Lieferwagen !
Sherry kroch aus ihrem Versteck unter der Treppe hervor. Sie stand auf, drehte sich um und blickte rasch die Treppe hinauf. Kein Toby. Sie schaute zur Glastür, aber statt der Straße draußen sah sie nur die Reflektion der Eingangshalle und ihr eigenes Spiegelbild: Die offene Bluse mit dem halb abgerissenen Ärmel hing über den Rock, und an einem Fuß trug sie eine weiße Sportsocke und einen Turnschuh, während der andere nackt war.
»Hübsch«, flüsterte sie.
Cheerleader überlebt Busunglück.
Oder Vergewaltigung. Wäre passender.
Sherry ging auf die andere Seite der Eingangshalle und öffnete die Tür zur Tiefgarage. Nachdem sie sie leise hinter sich geschlossen hatte, stieg sie die Treppe hinunter, deren Stufen aus Profilblech sich unter ihrer nackten Fußsohle kühl anfühlten und leise, metallische Geräusche von sich gaben.
Unten führte die Treppe ohne Tür in die hell erleuchtete Garage, in der viele Fahrzeuge abgestellt waren. Sherry hörte keinen Motor und sah keinen Menschen.
Das Gittertor der Einfahrt war zu, so wie vorhin, als sie auf der anderen Seite gestanden und hinunter in die Garage geblickt hatte.
Es kam ihr so vor, als wäre das vor vielen Stunden gewesen.
Wie lange ist es eigentlich wirklich her?, fragte sie sich, während sie auf Duanes Lieferwagen zulief. Eine halbe Stunde? Fünfzehn
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