Rache
denkt er bestimmt, dass ich total verrückt sein muss, um nicht nach draußen zu rennen.
Sie hörte das Klatschen von Tobys nackten Füßen auf dem glatten Fußboden. Er ging zur Tür!
Zu einer Glastür, erinnerte sie sich. Der Kerl steht jetzt in einer beleuchteten Eingangshalle splitternackt und blutverschmiert vor einer Glastür. Mit Metzgermessern in den Händen.
Was, wenn draußen eine Polizeistreife vorbeifährt?
Wenn irgendjemand vorbeifährt?
Joggt hier denn niemand? Führt hier keiner seinen Hund spazieren?
Nun macht schon! Macht die Augen auf und greift nach euren Handys.
Sie hörte ein leises, metallisches Geräusch.
Toby drückte auf die Türklinke.
Will er etwa nach draußen?
Die Tür quietschte in den Angeln. Das Heulen und Pfeifen des Windes drang herein.
Geht er etwa hinaus?
Das traut er sich nicht, dachte Sherry. Wenn die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, kommt er nicht mehr rein. Aber er muss wieder in die Wohnung, um seine Kleider zu holen. Und seine Schlüssel.
Na los, du Mistkerl! Trau dich! Geh nach draußen!
Sherry stellte sich vor, wie sie aus ihrem Versteck krabbelte, sich von hinten an Toby heranschlich und ihn mit beiden Händen durch die offene Tür nach draußen stieß. Er würde kopfüber die Betonstufen zur Straße hinunterstürzen.
Schwere Verletzungen.
Vielleicht fällt er ja in eines seiner Messer.
Und selbst wenn er den Sturz unbeschadet übersteht, kann ich ihn wenigstens aussperren.
Schweißnass und mit Schmerzen in allen Gliedern unter der Treppe kauernd, wusste Sherry genau, dass dieser eine Stoß das Ende ihrer Qualen bedeuten konnte.
Wenn ich den Mumm dazu habe …
So etwas machen doch nur die Heldinnen in irgendwelchen Kinofilmen, sagte sie sich. Und denen gelang es auf Anhieb.
Aber wenn sie es versuchte …
Im wirklichen Leben würde Toby es hören - oder spüren , wenn sie sich von hinten an ihn heranpirschte . Und noch bevor sie ihm nahe genug gekommen wäre, um ihn hinaus ins Freie zu stoßen, würde er sich umdrehen. Und sie töten.
Sie hatte gesehen, wie er mit seinen Messern auf Jim losgegangen war und mit welcher wilden Wut er wieder und wieder auf die arme Frau eingestochen hatte.
Fast meinte sie zu spüren, wie die Messer ihren eigenen Körper zerfetzten.
Und das würden sie, falls sie versuchte, sich von hinten an Toby anzuschleichen. Daran gab es eigentlich keinen Zweifel.
Die Tür fiel zu.
Das Schloss schnappte hörbar ein.
Ist er hinausgegangen?
Sie hörte sein rasches, heiseres Schnaufen, aber keine Schritte.
Was macht er denn?
Horcht er?
Sie hielt den Atem an.
Und rührte sich nicht, außer, dass sie mit den Augen blinzelte. Wenn sie das tat, gaben ihre Lider ganz leise, feucht schmatzende Geräusche von sich. Das konnte Toby nun wirklich nicht hören, oder?
Aber was war mit den Schweißtropfen, die von ihrem Körper auf den Fußboden klatschten?
Was war mit dem wilden Schlagen ihres Herzens?
Das alles kann er nicht hören, sagte sie sich. Dazu keucht und hechelt er selber viel zu laut. Ganz zu schweigen von den Geräuschen, die von draußen hereinkommen.
Warum geht er nicht von der Tür weg?
Vielleicht weiß er ja, dass ich hier bin.
Sie hatte nun schon so lange den Atem angehalten, dass ihr die Brust wehtat.
Vom Tauchen wusste sie, dass sie es bestimmt noch eine weitere Minute aushalten konnte, ohne Luft zu holen.
Aber was mache ich, wenn ich den Atem irgendwann mal nicht mehr anhalten kann, und Toby immer noch hier ist?
Wenn sie dann einatmete, würde es ziemlich laut sein.
Weil Sherry das nicht riskieren wollte, öffnete sie den Mund und atmete ganz langsam aus, bevor sie ebenso langsam wieder einatmete.
Nicht schlecht, dachte sie. Das war kaum hörbar. Das hat gut funktioniert.
Warum geht er nicht raus?
Aber wie sollte er auch? Er war nackt. Seine Kleider und die Autoschlüssel waren in Duanes Wohnung.
Und seine Brieftasche wahrscheinlich auch.
Dir habe ich’s gegeben, du dummes Arschloch.
Fast hätte sie hämisch gegrinst, aber dann wurde ihre Schadenfreude über Tobys missliche Situation überlagert von düsteren Gedanken voller Angst und Schrecken und Traurigkeit.
Tobys nackte Füße watschelten über den Fliesenboden.
Hat er mich entdeckt?
Sherry biss die Zähne zusammen und drehte den Kopf so, dass sie es sehen musste, wenn er in die Knie ging und unter die Treppe schaute. Vielleicht würde er grinsen, vielleicht einen blöden Scherz machen. Hast du eine Kontaktlinse verloren oder was?
Sie
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