Rache
Minuten? Zehn?
Wann wurde Jim niedergestochen?
Vor fünf Minuten?
Ob er noch lebt?
Wenn er mich doch bloß abgesetzt hätte und heimgefahren wäre … aber so etwas tut ein Mann wie er nicht, und jetzt kann man mal sehen, was er sich damit eingehandelt hat.
Sie trat zwischen Duanes Lieferwagen und einen blauen BMW.
Bestimmt ist er abgesperrt. Dann muss ich mir überlegen, wie ich ein Fenster einschlagen kann.
Trotzdem probierte sie, ob die Fahrertür abgesperrt war.
Sie ließ sich öffnen.
»Na schön!«, keuchte Sherry und stieg ein.
Als sie sich auf den Fahrersitz setzte, raubte ihr ein übler Gestank im Inneren des Wagens fast den Atem.
Da muss jemand reingeschissen haben.
Sherry wusste auch, wer das gewesen war. Aber es roch nicht nur nach Fäkalien, sondern auch nach Urin und Blut und Erbrochenem, und dann war da noch ein ganz seltsamer Geruch, der sie irgendwie an rohes Hackfleisch erinnerte.
Sherrys Augen begannen zu tränen.
Sie schloss die Tür. Eigentlich wollte sie sich nicht in diesen Gestank einsperren, aber nur so ging die Innenbeleuchtung des Lieferwagens aus, die sonst Toby schon von weitem verraten hätte, dass etwas mit dem Fahrzeug nicht in Ordnung war.
Soll ich ein Fenster aufmachen?
Sie drückte auf den Knopf des Fensterhebers, aber nichts passierte.
Kann ja nicht gehen, ohne eingeschaltete Zündung.
Blöde Konstruktion.
Nur um sicher zu gehen, dass Toby den Schlüssel nicht hatte stecken lassen, blickte sie hinunter auf das Zündschloss. Kein Schlüssel. Natürlich nicht.
Also vergiss den Gestank. Schnapp dir das Handy und dann nichts wie raus hier!
Ängstlich darauf bedacht, nicht in den hinteren Teil des Wagens zu schauen, wo vermutlich Duanes niedergemetzelter, kopfloser Torso lag, beugte Sherry sich nach rechts unten und öffnete das Handschuhfach.
Duanes Handy war noch da.
Nachdem sie es an sich genommen hatte, wollte sie aussteigen, aber dann fiel ihr ein, dass das Handy möglicherweise keinen Strom mehr hatte. Sie klappte es auf und drückte auf den Einschaltknopf. Das Gerät piepste kurz auf, und auf dem grünlich erleuchteten Display waren die Worte »Batterie laden« zu lesen.
Vielleicht hatte es ja trotzdem noch genügend Saft für einen Anruf.
Sherry tippte die Notrufnummer 911. Bei jedem Tastendruck gab das Telefon leise Töne von sich, und als sie den grünen Knopf mit dem Telefonhörer drückte, piepste es noch einmal.
Sherry hielt es ans Ohr. Aus dem Lautsprecher kamen zischende, knisternde Geräusche.
Dann war er plötzlich stumm.
Sherry blickte auf das Display. Es war dunkel.
»Mist«, flüsterte sie, legte das Telefon auf ihren Schoß und kramte noch einmal im Handschuhfach herum, bis sie das Ladekabel gefunden hatte. Sie steckte das eine Ende in das Handy und das andere in die Buchse des Zigarettenanzünders.
So hatte Duane es immer gemacht.
Muss dazu der Motor laufen?
Sherry drückte auf den Einschaltknopf des Handys. Das Display leuchtete auf, zeigte kurz die blinkende Batteriewarnung und wurde wieder dunkel.
»Mist«, murmelte Sherry.
Ohne den Zündschlüssel...
Die Beifahrertür wurde aufgerissen, und Toby kletterte in den Wagen. Er trug den rosa Bademantel der toten Frau und hatte sich eines seiner Metzgermesser zwischen die Zähne geklemmt. Sein Gesicht war blutverschmiert.
Sherry stieß ihre Tür auf.
Auf dem Beifahrersitz kniend machte Toby einen Satz auf sie zu. Sherry versuchte, sich aus der offenen Tür fallen zu lassen, aber er hatte sie bereits an Nacken und Oberarm gepackt.
Toby riss sie an sich heran, ließ ihren Arm los und nahm mit der dadurch frei gewordenen Hand das Messer aus seinem Mund. Die andere Hand noch immer an ihrem Nacken, drückte er Sherry die flache Seite der Klinge knapp unterhalb ihrer linken Brust auf die nackte Haut.
»Ich könnte sie dir abschneiden«, zischte er. »Willst du, dass ich das tue?«
»Nein.«
»Dann fahr.«
»Ich kann nicht.«
»Der Schlüssel ist unter dem Sitz.« Er nahm das Messer von Sherrys Brust und drückte ihren Kopf nach unten.
Mit dem Gesicht auf dem Lenkrad spreizte sie die Beine und tastete mit einer Hand auf der Bodenmatte herum.
»Na los, mach schon.«
»Ich suche doch.« Sherry ließ die Fingerspitzen auf dem Gummi der Matte hin und her gleiten. »Bist du sicher, dass er dort ist?«
»Ja. Es ist nur der Zündschlüssel, nicht der ganze Schlüsselbund.«
Schließlich hatte Sherry den Schlüssel ertastet. Erst schob sie ihn unabsichtlich ein Stück weg, aber sie
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