Racheakt
vorsichtig herumliegendes Geäst an, um darunter zu suchen. Dazwischen bewegte sich geschmeidig eine andere Gestalt, die mit blendend weißem Licht Tatortfotos machte und über dem Ganzen zuckte das unruhige Blaulicht der Streifenwagen.
»Herr Wiener?«, fragte der Staatsanwalt übergangslos.
»Kommt ganz gut klar. Ist natürlich für das zweite Mal ein wirklich schauriger Tatort, und ich werde sehen, wie er damit umgehen kann. Er ist tatsächlich eine Bereicherung fürs Team und zwar nicht nur seiner Computerfertigkeiten wegen. Im Moment spricht er mit der Zeugin.«
»Und der Dialekt?«
»Ist okay. Wir verstehen uns. Und er bemüht sich um etwas mehr Hochdeutsch, allerdings mit wechselndem Erfolg. Wenn er aufgeregt ist zum Beispiel, hat er sich nicht so im Griff. Aber die Zeugen verstehen ihn im Großen und Ganzen problemlos.«
»Badisch klingt ja auch eigentlich ganz nett. Und spätestens seit dem Wahlkampf wissen wir ja alle, dass unsere Schlauesten aus dem Süden kommen. Warum sollten wir das dann nicht für uns nutzen.«
»Damit hat der Stoiber aber nur seine Bayern gemeint. Von denen halten sich gute Badener fern, wie ich von Herrn Wiener gelernt habe.«
»Und die Badener werben damit, dass sie alles können außer Hochdeutsch«, murmelte der Staatsanwalt abwesend.
Dr. März sah sich ein letztes Mal nervös um, rieb sich die Oberarme als wolle er sich aufwärmen, zog dann die Schultern hoch, nickte den Kriminalbeamten zu und kehrte langsam mit gesenktem Kopf zum Parkplatz zurück.
Eine Stunde nach ihrem Eintreffen am Badesee machten sich die drei auf den Weg ins Büro. Frau Mehlbrunner hatte ihrer ursprünglichen Beschreibung nichts Neues hinzufügen können. Das Opfer kannte sie nicht und auch bei ihrer Suche nach Onkel Tom hatte sie nichts gehört oder etwas Besonderes bemerkt. Michael Wiener hatte in einigen der umliegenden Häuser geklingelt und überall die Auskunft bekommen, es sei eine sehr ruhige Wohngegend und hätte jemand um Hilfe gerufen, wäre es mit Sicherheit nicht unbemerkt geblieben.
»An einige vo dene Häuser klebt au dieses Zeichen vo der Cottbuser Zuflucht. Also die wolle scho zum Teil öffentlich demonstriere, dass ihnen die andere net gleichgültig sin«, erklärte der junge Kollege. Die Streife hatte sich gemeldet, konnte aber auch nur über eine Kontrollfahrt ohne besondere Vorkommnisse berichten. Der Täter war unbemerkt gekommen und genau so wieder verschwunden.
»I hann grad vor ein paar Woche ei Buch über Serietäter g’lese.« Michael Wieners Augen leuchteten vor Begeisterung. »Da wurd au vo solche Mördern berichtet. Also solchen, die ihre Opfer verstümmeln. Das war ei unglaublich interessantes Buch – un die Mörder erwiese sich letztlich alle als psychisch krank«, meldete sich Michael Wiener aus dem Fond auf dem Weg ins Büro.
»Serientäter! Das fehlte uns gerade noch: dass da draußen ein Verrückter rumläuft und gleich noch mehr Morde begeht! Herr Wiener!«
»Aber die Idee ist nicht so ganz verkehrt«, verteidigte Peter Nachtigall den jungen Mitarbeiter und erntete einen vernichtenden Blick seines Partners. »Vielleicht sollten wir das mal checken. Michael, sie versichern sich über VICLAS, dass es nicht ganz ähnliche Fälle gegeben hat.«
Michael Wiener nickte eifrig.
»Aber wenn solch ein Verbrechen irgendwo anders auch schon begangen wurde, dann wüssten wir das doch längst«, gab Albrecht Skorubski zu bedenken. »Schließlich würde bei einem ähnlich bestialischen Mord auch das Fernsehen berichtet haben. Und auch im Computer war schon seit Monaten keine Fahndung nach einem perversen Täter. Nichts in der Art jedenfalls. Ich denke, wir werden eher einen verlassenen Freund finden oder einen abgewiesenen Möchtegernlover.«
»Ja, vielleicht wurde sie ja von einem Stalker belästigt.«
Das Funksprechgerät rauschte: »Wir haben hier in einem Mülleimer einen Rucksack gefunden – Papiere sind aber nicht drin.«
»Gut. Kommen Sie damit gleich ins Büro«, wies Peter Nachtigall den Mann an und meinte gepresst: »Wenn wir einen Hinweis auf ihre Identität finden, müssen wir gleich noch ihre Eltern informieren«, er zog die Schultern hoch, als müsse er sich vor einem Nackenschlag schützen. Das war sein ganz privates Horrorszenario: Es klingelte an der Tür, als er gerade ein schönes Abendessen für sie beide komponierte und zwei völlig Fremde überbrachten ihm die Nachricht, Jule sei gerade bei einem Unfall ums Leben gekommen. Das wäre
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