Rachedurst
Kopf sitzen; sein mächtiger Leib füllte die Schale des Plastikstuhls. Dann bedeckte er den Kopf mit riesigen Händen und fuhr sich mit dicken Fingern durchs Haar.
Joe konnte sehen, wo die Plastikhandschellen in Wyatts fleischige Gelenke geschnitten hatten und was aus den Fesseln geworden war: Er hatte sie während des Kampfs zerrissen und nun lagen sie unter seinem Stuhl auf dem Boden. Noch nie zuvor war Joe jemandem begegnet, der stark genug war, Handschellen zu sprengen. Neben den zerfetzten Fesseln entdeckte er einen kleinen nassen Fleck. Und einen zweiten. Er realisierte, dass Wyatt zitterte und seine gewaltigen Schultern ruckartig auf und nieder gingen, während er schluchzte.
***
Nachdem Joe zwei Stunden später endlich Robey gegenüber die eidesstattliche Aussage über seine letzte Begegnung mit Opal Scarlett abgegeben hatte, steckte Hilfssheriff Reed den Kopf durch die Tür.
»Ich dachte, es dürfte Sie beide interessieren, dass wir zwei Wagen losgeschickt haben, um einen Angelführer namens Tommy Wayman aufzugabeln«, meinte er und warf einen Blick auf seine Notizen. »Seine Frau Nancy hat angerufen. Sie hatten Streit, und Nancy sagt, Tommy hat gedroht, ihr das Gleiche anzutun wie Opal Scarlett, wenn sie nicht den Mund hält.«
Nach kurzem Zögern fragte Joe schlieÃlich doch: »Nämlich ⦠?«
»Sie wie Fischabfall in den Fluss zu werfen«, erwiderte Reed und sah dabei auf seinen Block, um deutlich zu machen, dass er zitierte.
***
Tommy Wayman also, dachte Joe. Tommy lebte schon lange in dieser Gegend, ein wandelnder Anachronismus mit einer Vorliebe für Stretchjeans und weiÃen Hemden mit Druckknöpfen. Er besaà drei Boote und zwei FlöÃe auf dem Twelve Sleep River, und sein Geschäft lief gut, obwohl er eigentlich viel lieber selbst angeln gehen würde anstatt sich mit allem Möglichen anderen Kram beschäftigen zu müssen. Sein Geschäft florierte inzwischen regelrecht, und zwar dank MBP Management, der Firma von Marybeth.
Wayman offerierte seine Anglerdienste schon länger als jeder andere im Tal und hatte als Erster von lebenden Ködern zu Attrappen sowie von flachen Sportfischerkähnen zu schönen Driftbooten im McKenzie-Stil gewechselt. Als Erster hatte er gepredigt, den Fang wieder zurück ins Wasser zu setzen, statt jeden einzelnen Fisch zu töten und einzusacken. Das war fortschrittlich und der Erkenntnis entsprungen, dass die Ressourcen einzigartig, aber endlich waren. Joe hatte Tommy unterstützt und andere Führer aufgefordert, ihre Methoden ebenfalls zu ändern. SchlieÃlich hatte er sich um den Bestand und den Zustand der Forellen im Fluss zu kümmern und nicht um schwimmende Mahlzeiten.
Tommy hatte seit Jahren mit Opal Scarlett gestritten. Vielleicht war ihm letztendlich der Geduldsfaden gerissen.
4. KAPITEL
Es war nach zehn, als Joe auf der Bighorn Road nach Hause fuhr. Maxine schlief eingerollt auf dem Beifahrersitz. Hin und wieder unterbrach ein kurzes Jaulen ihre tiefen Atemzüge â sie träumte, aber wovon? Von der Jagd auf Kaninchen? Oder von Männern, die sie mit Schaufeln aufeinander hatte eindreschen sehen?
Es war bemerkenswert finster; der Mond stand schmal und weià und wie mit einer Rasierklinge hineingekratzt am Himmel; die Sterne blinkten hart und kalt. So weit auÃerhalb der Stadt gab es keine StraÃenbeleuchtung, und es war eine dieser Nächte, die das Sternenlicht nicht transportierten, sondern einsaugten und nur Stecknadelköpfe übrig lieÃen.
Er hatte Marybeth angerufen, um Bescheid zu geben, dass er sich verspäten würde.
»Sheridan hat mir erzählt, was passiert ist«, hatte sie gesagt. »Arme Julie. Ich wünschte, sie hätte nicht mit ansehen müssen, wie ihr Vater und ihr Onkel sich derart bekriegen.«
»Mein Fehler«, erwiderte Joe.
Marybeth schwieg â also war auch sie der Meinung, er habe Mist gebaut. Aber wenigstens sagte sie es nicht. Seit Joe vor einem halben Jahr von seinem Einsatz in Jackson zurückgekehrt war, war sie ihm gegenüber äuÃerst nachsichtig gewesen, als gäbe es etwas gutzumachen, das in seiner Abwesenheit geschehen war. Zwar wusste er nicht, worum es da ging, doch ihm war klar, dass es mit Nate Romanowski zu tun hatte. Er fragte nicht, da er ihrer Urteilskraft stärker traute als der seinen â und offen gesagt auch, weil ihm gefiel, wie sich die Dinge zwischen
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