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Rachedurst

Rachedurst

Titel: Rachedurst Kostenlos Bücher Online Lesen
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und sich auf den Stuhl vor Joes Schreibtisch gesetzt.
    Â»Das soll wohl ein Witz sein?«, hatte Joe gefragt.
    Das entsprechende Gesetz hatte schon lange Bestand und war allgemein bekannt: In Wyoming durfte man die Ländereien anderer mit einem Boot befahren, solange man nicht anhielt und ausstieg oder das Boot ans Ufer zog und das Privatgelände widerrechtlich betrat. Das Land gehörte seinem Besitzer, das Gewässer dagegen war öffentliches Eigentum. Während es vollkommen zulässig war, wenn ein Grundbesitzer für den Zugang zu einem Fluss, der durch sein Land führte, Gebühren kassierte, war es verboten, für das bloße Treiben durch Privatland eine Gebühr zu erheben.
    Â»Angeblich nimmt sie mit den Treibgebühren, wie sie das nennt, genug Geld ein, um sich damit jeden Spätsommer einen neuen Cadillac zu kaufen«, hatte Tommy Wayman gesagt und dabei eine Bierflasche aufgeschraubt, die er aus seiner Anglerweste gezogen hatte. »Seit Jahren scheffelt sie Geld, aber niemand zeigt sie an, weil sie nun mal Opal Scarlett ist.«
    Laut Wayman lief die Sache so: Opal trieb ihre Gebühr ein, indem sie in der Nähe ihres Anwesens ans Ufer trat und zu den vorbeitreibenden Anglern hinüberrief. Beim Anblick einer kleinen weißhaarigen alten Frau, die winkte und schrie, vermuteten die meisten, es sei etwas nicht in Ordnung, und steuerten auf sie zu, um zu helfen. Sobald die Boote ans Ufer kamen, belehrte sie dann die Angler darüber, dass sie nun ihr Land betreten hätten, und entweder müssten sie eine Geldstrafe entrichten, oder sie würden verhaftet. Sie wolle aber Gnade vor Recht ergehen lassen, wenn die Bootsinsassen fünf Dollar pro Nase zahlten. Im Lauf der Zeit stiegen die Gebühr auf zehn, fünfzehn, ja, zwanzig Dollar. Unter den Anglern hatte es sich daraufhin herumgesprochen, dass es besser war, Opal Scarlett zu ignorieren, wenn sie einem etwas zurief – egal, was es sein mochte.
    Das ließ sie zu drastischeren Maßnahmen greifen, und ein paar Jahre lang sicherte sie sich die Aufmerksamkeit, indem sie mit der Schrotflinte in die Luft feuerte und den Leuten auf den Booten klipp und klar zu verstehen gab, sie seien als Nächste dran, wenn sie nicht zahlten. Das funktionierte eine Zeit lang ganz gut.
    Um die unangenehme Situation zu vermeiden, vor den Augen ihrer Kunden Gebühren entrichten zu müssen, waren Angel- und Jagdführer dazu übergegangen, Opal vorab zu bezahlen, um problemlos ihr Anwesen queren zu können; Wayman selbst hatte es angeblich jahrelang so gehandhabt. Doch dann wurde Opal allmählich vergesslich; in der Hälfte der Fälle konnte sie sich nicht mehr erinnern, dass er vorausbezahlt hatte, und tauchte daher wieder am Ufer auf, schoss in die Luft und verlangte ihren Tribut.
    Joe war damals aufgefallen, dass Wayman damit erst zu ihm gekommen war, als die Sache bereits aus dem Ruder gelaufen war, also erst, als Wayman gezwungen war, Opal doppelt zu bezahlen.
    Damals hatte er Joe auch zum ersten Mal erzählt, Opal habe gedroht, rasiermesserscharfen Klavierdraht in Halshöhe über den Fluss zu spannen.
    Â»Wenn sie das tut, bringt sie vermutlich jemanden um«, hatte Wayman gesagt. »Sie denkt, alle auf dem Fluss wollen sie übervorteilen, indem sie die Gebühr nicht zahlen – dabei haben die meisten von uns längst geblecht. Wenn sie diesen Draht spannt, wird sich irgendjemand schwer verletzen.«
    Nach diesem Gespräch war Joe mit der Überzeugung zur Thunderhead Ranch gefahren, die Sache wäre völlig eindeutig. Das war seine erste Begegnung mit dem geheimnisvollen Scarlett-Nimbus gewesen, sein erster echter Einblick, wie tief die familiären Wurzeln in dieser Gegend reichten und wie etwas Simples wie der Zugang zu Fließgewässern sich als hochkompliziert erweisen konnte.
    Er hatte Opal allein in ihrem prächtigen Gemüsegarten auf der Südseite des aus Massivstein errichteten Ranchhauses angetroffen, in dem sie wohnte. Als er seinen Pick-up im Hof parkte und zu ihr ging, stützte sie sich auf ihre Hacke und musterte ihn interessiert, aber mit professioneller Distanz, die irgendwo zwischen einem freundlichen Gruß und dem Vorwurf des Hausfriedensbruchs angesiedelt war. Ihre Miene schien zu sagen: »Mit Leuten wie dir schlage ich mich seit über sechzig Jahren rum, und bisher hat mich noch keiner von euch Brüdern auf dem falschen Fuß erwischt.«
    Sie

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