Rachedurst
ihnen entwickelten. AuÃerdem hatte auch er ein Geheimnis: eine verheiratete Frau in Jackson, die eine unerwartete Anziehungskraft auf ihn ausgeübt hatte. Auch wenn nichts passiert war â es hätte passieren können, und das war fast genauso schlimm. Deshalb hatten Marybeth und er eine schwierige Phase durchlebt, wie es vermutlich in jeder Ehe einmal vorkam, doch der Sturm war weitergezogen, ohne schwere Schäden zu hinterlassen. Nun befanden sie sich wieder in ruhigem Fahrwasser, und das war gut so. Er sah keinen Grund, vergangene Gefühle mit bohrenden Fragen ans Licht zu zerren. Sie auch nicht. Das Leben meinte es im GroÃen und Ganzen gut mit ihm, fand er â einmal abgesehen von seiner Arbeit, seinem Chef und nun vom Verschwinden Opal Scarletts.
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Im Frühling erwachte die Natur zu neuem Leben; also fuhr er vorsichtig. Rotwild, Kaninchen, Dachse, Wapitis und manchmal auch Pumas waren jetzt unterwegs, um ihre Rangordnungen und Territorien neu festzulegen, Nachwuchs zu bekommen und sich nach dem langen Winter auszutoben. Joe stellte sich vor, wie sie sich über natürliche und menschengemachte Veränderungen ihrer Umgebung wunderten, die Modifikationen verarbeiteten und sich instinktiv an ihren neuen Lebensraum anpassten. Er ging vom Gas, als knapp auÃerhalb seines Scheinwerferkegels zwei hellblaue Punkte funkelten, und hielt an, als eine Dachsmutter mit zitterndem Bauchfett quer über den zweispurigen Asphalt flitzte. Ihr geschmeidiges, glänzendes Junges erstarrte kurz mitten auf der StraÃe, bleckte in jugendlicher Aggressivität die Zähne und folgte ihr. Beide verschwanden im Dunkel des Steinbruchs neben der StraÃe.
Er war immer froh um die Fahrt nach Hause, weil er sich dabei entspannen und die Ereignisse des Tages ordnen und für später in einem mentalen Schubfach ablegen konnte.
Joe schwirrte immer noch im Kopf herum, was im Büro des Sheriffs zwischen den Scarlett-Brüdern vorgefallen war. Obwohl das Zerwürfnis zwischen ihnen â vor allem zwischen Arlen und Hank â Stoff für lokale Legenden lieferte, hatte er das ganze Ausmaà ihres Zorns bisher nie mit eigenen Augen gesehen.
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Tommy Wayman war in die Bezirksverwaltung gebracht worden, als Joe gerade das Gebäude verlassen hatte. Bevor er den Wagen anlieÃ, beobachtete er, wie zwei Hilfssheriffs Wayman aus dem Auto zogen und zum Eingang eskortierten. Von Neugierde gepackt ging Joe wieder rein, um zu hören, was Tommy zu sagen hatte.
Jemand hatte den Saddlestring Roundup verständigt, und ein Reporter, den Joe auf höchstens siebzehn schätzte, war mit einer Digitalkamera aufgetaucht. Das Blitzlicht flammte auf, leuchtete Tommys Profil schonungslos aus und bannte sein Abbild auf die Festplatte: kleine Augen in einem von vielen Stunden auf dem Fluss stark gebräunten Gesicht, und eine rote Knollennase, die von den unzähligen Bieren rührte, die er während der vielen Stunden auf dem Fluss getrunken hatte.
Tommy wirkte verängstigt, und es schien, als wäre er in ständiger Erwartung von irgendwelchen Schlägen, die von allen Seiten auf ihn einprasseln könnten. Joe bemerkte einen Verband an seinem Hals. Das Pflaster, das den Mull hielt, hatte sich gelöst, und die Wunde sah aus, als hätte jemand versucht, ihm die Kehle von einem Ohr zum anderen durchzuschneiden.
»Was ist mit Ihrem Hals passiert?«, fragte Joe.
»Opal Scarlett«, erwiderte Tommy. »Die hätte man schon vor langer Zeit aus dem Verkehr ziehen müssen.« Der Alkohol lieà ihn mit schwerer Zunge sprechen. Weil seine Hände am Rücken gefesselt waren und er nicht mit dem Finger darauf zeigen konnte, hob er das Kinn, um auf seine Wunde hinzuweisen. »Diesmal hätte sie mir fast den Kopf abgeschnitten.«
Ehe er fortfahren konnte, brachten die Hilfssheriffs ihn zum Verhör ins Gebäude.
Joe musterte Tommys schmächtigen Rücken, bis der Angelführer im Haus verschwunden war, und folgte ihm dann. So langsam schien sich das Puzzle Stück für Stück zusammenzufügen.
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Joe hatte Opal Scarlett drei Jahre zuvor im Zuge einer Beschwerde eben dieses Tommy Wayman kennengelernt. Wayman war zu ihm ins Büro in der Bighorn Road gekommen und hatte behauptet, Opal versperre den Zugang zum Fluss und verlange Gebühren dafür, dass seine Boote durch ihre Ranch treiben dürften.
»Das macht sie seit Jahren«, hatte er erklärt
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