Rachedurst
Bierflasche in den Händen. »Ich weià nicht, ob es hier im Westen etwas Schlimmeres gibt.«
Er sah mit gequälter Miene zu Joe hoch. »Habe ich Ihnen mal den Hauptgrund erzählt, warum ich als Anwalt aufgehört und für das Amt des Bezirksstaatsanwalts kandidiert habe?«
»Lassen Sie mich raten«, spöttelte Joe. »Könnte es ⦠am Fluch der dritten Generation gelegen haben?«
»Stimmt. Dieses Muster lässt sich geradezu vorhersagen. Nach meiner Zulassung als Anwalt hatte ich anfangs mit viel zu vielen dieser Fälle zu tun, und das hätte mich fast umgebracht. Das Ganze läuft folgendermaÃen ab: Eine Matriarchin oder ein Patriarch gründet eine Ranch und hinterlässt sie dem Erstgeborenen. Dem Erben fallen Land und Macht zu, und er sieht beides mit anderen Augen, weil er sie sich nicht erkämpfen oder verdienen musste, sondern von Geburt an einen Anspruch darauf hatte. Aber er steht der Gründergeneration nahe genug, um noch ein Gefühl für die Anstrengungen zu haben, unter denen alles aufgebaut wurde. Doch von da an macht sich Bequemlichkeit breit. Bei Firmen in Familienbesitz ist es genauso, aber auf einer Ranch läuft alles auf einer persönlicheren Ebene ab als bei einer Schuhfabrik, weil dort alle zusammen leben und essen. Manchmal ist die zweite Generation schlau, weià zu schätzen, was sie wie geerbt hat, und plant voraus. Indem sie Aktien- oder Personengesellschaften bildet oder so.« Robey nahm einen tiefen Zug aus der Bierflasche, und Joe staunte, wie sehr sein Freund sich für dieses Thema interessierte, wie viel er offenkundig darüber nachgedacht hatte, wie ungemein es ihn bewegte.
»Die dritte Generation«, fuhr Robey fort, »erbt also ein florierendes Unternehmen, aber eigentlich ist es ihr egal, wie sie dazu gekommen ist. Die dritte Generation zersplittert. Einige Söhne und Töchter wollen die Ranch fortführen, andere wollen etwas anderes. Wenn dann die Zeit kommt, sich darüber klar zu werden, wem was gehört, werden Rechtsanwälte hinzugezogen, um die Sache auszufechten. Es ist wie bei Scheidungspaaren, die aus Verbitterung nicht an das Wohl ihrer Kinder denken. Statt um Kinder geht es hier eben um die jeweilige Ranch. Das Land dieser Erde ist begrenzt, vor allem gutes, landschaftlich reizvolles und fruchtbares Land. Der Rechtsstreit wird manchmal unfassbar hässlich. Es kommen andere hinzu, die dieses Land, dieses Vermögen haben wollen. Und so streiten Geschwister erbittert gegeneinander. In dieser Lage kann man die Menschen wirklich von der schlimmsten Seite erleben, und man würde diese Idioten am liebsten am Kragen packen, ihnen die Köpfe zusammenschlagen und sagen: »Wacht auf! Seht, was ihr dem Ort antut, in den eure Vorfahren all ihren Schweià und all ihr Herzblut gesteckt haben!«
Robey stand auf und tat, als würde er die Prozessführer am Genick packen und ihre Köpfe gegeneinanderknallen. Joe sah sich um, ob jemand an der Theke zusah. Das war zum Glück nicht der Fall.
»Und bei den Scarletts und ihrer Ranch«, mutmaÃte er, »begegnet uns nun dieser Fluch in höchster Potenz?«
»Als wäre er radioaktiv geworden«, pflichtete Robey ihm bei. »Die Ranch wurde in den 1880ern gegründet, also zu einer Zeit, in der die meisten groÃen Ranches in diesem Teil des Landes entstanden. Das war noch vor der Gründung des Staates Wyoming und noch ehe die Siedler sich hier breitgemacht hatten. Im Falle der Thunderhead Ranch war es ein Mann namens Homer Scarlett aus West Virginia, der mit einem kleinen Erbe eine damals nur zwanzig Quadratkilometer groÃe Ranch am Fluss erworben hat.«
»Die ursprüngliche Thunderhead Ranch?«, fragte Joe erwartungsvoll.
Robey schüttelte den Kopf. »Thunderhead war die Ranch daneben. Homer Scarlett, der UrgroÃvater, hat sie mit etwas dubiosen Methoden erworben â einen GroÃteil hat er, glaube ich, beim Pokern gewonnen â und seinem Besitz einverleibt. Er hat sich wohl auch fünf, sechs weitere kleine Ranches gesichert und seinen Besitz immer weiter vergröÃert. Nach allem, was ich gehört habe, kannte er keine Skrupel. Aber er war auch ein brillanter Geschäftsmann, denn sein Unternehmen blühte, während die Betriebe ringsum in die Pleite segelten. Alles Land, das er erwarb, vereinte er unter dem Schirm der Thunderhead Ranch â vermutlich, weil er den Namen mochte.
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