Racheengel
Lennon.
»Weiß ich nicht«, sagte Ellen. »Er riecht nach Milch.«
Lennon musterte das Bild des Mädchens noch einmal. Aus irgendeinem Grund, den er selbst nicht recht verstand, musste er an den Pass in seiner Tasche denken und an das Bild einer jungen Frau, die ein wenig wie jene aussah, die er suchte.
Noch bevor er Ellen weiter befragen konnte, klingelte sein Handy. Er sah auf und merkte, dass Susan ihn aus der kleinen Küche heraus beobachtete. »Unbekannter Teilnehmer«, stand auf dem Display. Er drückte die grüne Taste, hielt sich das Hangy ans Ohr und schwieg.
Nach einer Weile fragte eine verwirrte Stimme: »Hallo?«
»Connolly?«, fragte Lennon zurück.
»Sir?«
»Tut mir leid, ich dachte, Sie seien womöglich … jemand anderes. Haben Sie was für mich?«
»Könnte sein«, sagte Connolly. »Ich habe das ViSOR-Register durchforstet, wie Sie es wollten.«
»Okay«, sagte Lennon. Die ViSOR-Datenbank erfasste alle Sexualstraftäter, die zu einer Haftstrafe zwischen fünf Jahren und lebenslänglich verurteilt worden waren, und auch einige andere, bei denen man nur ein Risiko vermutete.
»Einen von hier habe ich nicht gefunden«, berichtete Connolly. »Niemanden, der der Skizze, die Sie geschickt haben, auchnur im Entferntesten ähnlich sah, und keine Delikte, die Prostituierte betrafen. Aber ein Typ ist mir trotzdem aufgefallen.«
Lennon streichelte Ellen übers Haar, beugte sich hinab und küsste sie auf den Kopf, dann ging er außer Hörweite.
»Ein Bursche namens Edwin Paynter, P-A-Y-N-T-E-R, aus Salford im Großraum Manchester. Er wurde vor sieben Jahren wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung an einem Straßenmädchen verurteilt und hat ungefähr anderthalb Jahre gesessen. Offenbar wurde er bei einer Routine-Verkehrskontrolle erwischt, er hatte das Mädchen gefesselt hinten in seinem Transporter liegen. Weiß der Himmel, was er mit ihr vorhatte.«
»Meine Güte«, sagte Lennon.
»Der Datenbank zufolge ist er jedenfalls in Salford gemeldet, und zwei Jahre lang hat ihn die örtliche Polizei dort im Auge behalten. Dann beschloss er, nach Belfast zu ziehen und bei einer Tante zu wohnen. Vermutlich, um neu anzufangen.«
Susan reichte Lennon einen Becher mit dampfendem Kaffee. Er nickte dankbar und nahm einen Schluck.
»Also hat er sich hier gemeldet«, fuhr Connolly fort. »Aber nach ungefähr einem Jahr ist er dann von der Bildfläche verschwunden. Seit zwei Jahren hat keiner mehr etwas von ihm gehört.«
»Haben Sie ein Foto von ihm? Und die Adresse der Tante?«, fragte Lennon.
»Ja, aber …«
»Mailen Sie mir alle Informationen. Ich kann sie dann auf meinem Handy lesen.«
»Aber ich glaube nicht, dass wir irgendwelche Daten außerhalb des ViSOR-Netzwerks weiterleiten dürfen.«
»Machen Sie es einfach«, sagte Lennon. »Ich übernehme die Verantwortung.«
Als er auflegte, fragte Susan. »Hat sich etwas ergeben?«
»Vielleicht«, sagte Lennon. »Wir werden sehen.«
»Hast du noch Zeit, etwas zu essen? Ein Sandwich?«
»In Ordnung«, sagte er und setzte sich aufs Sofa. »Danke.«
Sie machte sich daran, die Zutaten zusammenzusuchen, und belegte dann Brotscheiben mit frischem Kochschinken und Salatblättern. Schon vom Zuschauen knurrte ihm der Magen. Um sich abzulenken, zog er den Umschlag aus der Tasche und betrachtete die Zeichnung und studierte den Strich der Linien. Kreuz und quer war der Stift über den Umschlag gefahren, bis daraus das Abbild eines runden Gesichts wurde. Sein Blick wanderte zurück zu dem wirren Gekritzel mitten auf Ellens Zeichnung.
Ein Gedanke beschlich ihn, doch bevor er sich festsetzen konnte, schob er ihn beiseite.
Susan brachte einen Teller zum Couchtisch und stellte ihn neben den Kaffeebecher.
Als Lennon den ersten Bissen seines Sandwichs nahm, klingelte sein Handy erneut.
46
Aus schweren Augenlidern sah Herkus in der Hotelsuite zu, wie sein Boss von der Glasplatte des Schreibtischs eine weitere Line zog.
»Willst du auch was?«, fragte Arturas.
Herkus ließ sich in seinem Sessel zurücksinken, die Lider fielen ihm zu. »Nein, ich hatte schon welches. Lass mich mal ein paar Minuten meine Augen ausruhen.«
Arturas trat ihm gegen den Fuß, und er fuhr hoch.
»Schlafen kannst du, sobald du diese Hure ausfindig gemacht hast.« Rastlos lief Arturas im Zimmer auf und ab. »Ich habe auch nicht geschlafen. Und beklage ich mich etwa?«
Herkus richtete sich im Sessel auf. »Natürlich hast du nicht geschlafen. Mit dem Zeug, was du da geschnupft
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