Racheengel
über ihre Wange. »Ich verstehe überhaupt nicht, was du sagst.«
Da erst begriff sie, dass sie Russisch gesprochen hatte. Fieberhaft versuchte sie die richtigen englischen Wörter zu finden, aber sie fielen ihr nicht ein.
Er ließ ihre Haare los, und Galya sackte auf den Boden. Die Taschenlampe ging an, sie beschirmte ihre Augen vor dem blendenden Licht.
»Du kannst hier unten bleiben«, sagte er und machte kehrt. »Im Dunkeln.«
Jetzt war er schon an der Treppe. »Denk über alles nach. Beruhige dich. Versuch zu begreifen, dass ich dir nichts Böses will.«
Während er emporstieg, richtete er die Lampe auf sie und behielt sie über die Schulter im Auge. Als er die letzte Stufe erreicht hatte, drehte er sich um und starrte auf sie herab.
Galya kroch aus dem fahlen Lichtkegel in den Schatten.
»Nur zu«, sagte er. »Versteck dich ruhig. Jetzt dauert es nicht mehr lange. Wirst schon sehen. Ich muss nur noch ein paar Dinge erledigen, ein paar Sachen vorbereiten, und dann fangen wir an. Ich habe versprochen, dich zu retten, und das tue ich auch. Warte nur. Es wird wunderbar. Du wirst Gott noch danken, dass ich dich gefunden habe. Alle haben sie Gott gedankt, dass ich sie gefunden hatte. Alle. Letzten Endes.«
Die Tür schloss sich, und alles wurde von der Dunkelheit verschluckt. Galya suchte sich eine Ecke und weinte.
45
Lennon verließ den Lift und schlug mit den Fingerknöcheln fest an Susans Tür. Es war erst ein paar Stunden her, seit er ihre Wohnung verlassen hatte, aber ihm kam es vor wie Tage. Gerade hatte er die Hand gehoben, um noch einmal zu klopfen, da machte sie auf.
»Du liebe Güte, jetzt tritt nicht gleich meine Tür ein«, schimpfte sie. »Was ist denn los?«
Lennon schaute an ihr vorbei in die Wohnung. Er hörte die Stimmen der Mädchen, die offenbar irgendeinen Streit hatten.
»Nichts«, sagte er.
»Du lügst«, sagte sie und trat zurück. »Aber komm trotzdem rein. Vielleicht fällt dir dann wieder ein, dass du eine Tochter hast.«
Lennon schloss hinter sich die Tür. »Ich weiß, tut mir leid. Es war ein übler Tag.«
»Nach den Nachrichten zu urteilen, war er für diverse Leute noch übler. Bist du denn ein Stück vorangekommen?«
»Ein bisschen«, sagte er.
Susan wandte sich zum Wohnzimmer, aber Lennon hielt sie am Ellbogen fest.
»Was ist?«, fragte sie und runzelte besorgt die Stirn. »Was ist los?«
»Nichts, nur …«
Sie riss sich von ihm los. »Himmel, jetzt lass mich nicht so zappeln.Ich bin keine von den Schlampen, nach denen du früher die Bars abgefischt hast. Erzähl mir, was los ist.«
»Na gut«, sagte er und legte ihr die Hände auf die Oberarme. »Ist heute irgendjemand hier gewesen? Hat irgendjemand nach mir gefragt? Nach mir gesucht? Oder hast du jemand Ungewöhnlichen gesehen? Einen, den du normalerweise in so einer Wohngegend nicht erwarten würdest?«
»Nein«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Niemanden. Warum?«
»Irgendwelche Anrufe?«
»Nur ungefähr fünf Mal Ellens Tante.« Susan verschränkte die Arme vor der Brust. »Verrat mir mal, warum du so beunruhigt wegen irgendwelcher Besucher und Anrufe bist.«
»Wahrscheinlich ist gar nichts«, wich Lennon aus.
»Aber es könnte etwas sein.«
»Ich weiß nicht«, sagte er. »Vielleicht.«
Susan trat einen Schritt zurück, ihre Gesichtszüge verhärteten sich. »Hör mal, Jack, ich tue eine ganze Menge für dich. Ich habe mich noch nicht einmal beklagt, und ich habe nur nein gesagt, wenn es gar nicht anders ging. Seit über einem Jahr helfe ich dir nun schon dabei, die Kleine großzuziehen, und das Einzige, was ich zum Dank je bekommen habe, war ein Kuss und ein bisschen Gefummel. Ich habe es gemacht, weil ich dich gern habe. Und weil ich Ellen gern habe.«
Lennon wollte wieder nach ihren Armen greifen, aber sie schlug ihm die Hände weg.
»Jetzt hörst du mir mal zu, Jack. Wenn es auch nur den Hauch einer Möglichkeit gibt, dass du mir Ärger ins Haus gebracht hast, dann sagst du mir das jetzt gefälligst. Wenn ich irgendeinen Grund habe, mir um die Sicherheit meiner Tochter Sorgen zu machen, dann will ich das sofort wissen, sonst kannst du dich verpissen.«
Lennon steckte die Hände in die Hosentaschen, lehnte sich an die Wand und schnaufte wütend.
»Es könnte da draußen jemanden geben, der sauer auf mich ist.«
»Wen?«
»Seinen Namen kenne ich nicht. Ich weiß überhaupt nichts über ihn. Es ist derjenige, der damals Ellen und ihre Mutter entführt hat.«
»Um Gottes willen«,
Weitere Kostenlose Bücher