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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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kamen aus dem Schatten vage Umrisse zum Vorschein. Als er einen Schritt in Richtung Werkbank machte, knirschte Glas unter seinen Stiefeln. Die Glühbirne.
    Er ließ seine Hände über die glatte Holzoberfläche gleiten, fühlte aber nur Staub und Späne von früheren Arbeiten, die er hier erledigt hatte. Rechts von ihm stand der Schrank. Im Dämmerlicht konnte er erkennen, dass die Türen geschlossen waren, obwohl er sich sicher war, sie offen gelassen zu haben.
    Er ließ seine Zunge im Mund rollen und dachte nach. Doch, er hatte die Tür offen gelassen. Er ging hinüber und packte beide Griffe.
    »Ich will dir doch nur helfen«, sagte er.
    Er riss die Türen auf. Kein Mädchengeruch wehte von innen hoch. Weil er sich nicht auf seine Augen verlassen konnte, griff er tastend hinein. Leer.
    »Lässt du mich dir helfen?«, fragte er und drehte sich in der Dunkelheit um. »Lass mich dir doch bitt…«
    Eine Sonne explodierte vor seinen Augen, dann verlosch sie wieder, und zurückblieben nur helle grüne Schlieren. Er hob die Hände und versuchte, die gleißenden Punkte wegzuschlagen.
    Wieder blitzte ein Licht auf, aber diesmal nicht vor seinen Augen. Einen Moment hatte er noch, um sich zu fragen, wo es herkam, dann ließ der nächste Schlag seinen Kopf zur Seite kippen, und er krachte mit der Schulter auf den Boden.

44
    Immer noch die Taschenlampe in der Hand, erreichte Galya die Treppe. Die Wucht des Schlages brannte in ihrem Ellbogen und Handgelenk. Scherben von der Glühbirne gruben sich in ihre Fußsohlen. Zwei Stufen auf einmal nehmend, lief sie zur offenen Tür hoch, aus der das Licht fiel. Die Schlüssel!
    Mit erhobenem Fuß blieb sie stehen, die Tür schon in Reichweite. Bestimmt hatte er die Schlüssel bei sich. Hatte sie sie klimpern hören, als der Mann auf die Erde geschlagen war? Sie glaubte es jedenfalls.
    Wenn sie die Haustür öffnen wollte, würde sie sehr wahrscheinlich feststellen, dass sie abgeschlossen war, und ihm gleichzeitig Zeit geben, sich zu erholen. Besser, sie kehrte zurück und holte die Schlüssel, solange er noch nicht ganz bei Sinnen war.
    Galya schickte ein kurzes, stummes Gebet zu Mama und drehte sich um. Langsam ging sie die Treppe hinunter, die linke Hand am Geländer, in der rechten die Taschenlampe. Erst als sie unten angekommen war und spürte, wie sich noch mehr winzige Scherben in ihre ohnehin schon zerschundene Haut bohrten, kam sie auf die Idee, sie anzuschalten.
    Sie drehte die Lampe in der Hand, bis sie den Schalter gefunden hatte. Ein schwacher Lichtkegel fiel auf das Linoleum, fand aber nur weiß glänzende Glasscherben und einen einzelnen roten Tropfen.
    Ein Geruch von saurer Milch, ein warmer Hauch in ihrem Nacken.
    Galya wirbelte herum und holte mit der Taschenlampe aus, aber da packte sie auch schon eine harte Hand am Handgelenk.
    Sein Mondgesicht kam ganz nahe heran, im fahlen Licht von oben sah sie seine gebleckten Zähne.
    Galya versuche, ihren Arm loszureißen, aber ebensogut hätte er an der Wand festgenagelt gewesen sein können. Wut flammte in ihr auf, Wut auf sich selbst, dass sie es ihm so leicht gemacht hatte, sie wieder zu überwältigen. Mit aller Kraft versuchte sie erneut, sich loszureißen.
    Er packte noch fester zu. Ein roter Blutfaden rann von seiner Schläfe auf die Wange und verschwand im dichten Gestrüpp seines Bartes.
    »Lass mich dir doch helfen«, sagte er.
    Jetzt richtete Galya ihre Wut gegen ihn. Heulend schlug sie mit der freien Hand nach seiner nackten Haut und hinterließ unter dem rechten Auge eine rote Schramme, ein Spiegelbild der Narbe, die darüber verlief. Kleine Blutstropfen traten daraus hervor.
    Er stieß sie zurück, und Galya fiel zu Boden. Sie schlug hart auf, ein Schmerz durchzuckte ihre Wirbelsäule. Klackernd fiel die Taschenlampe auf den Beton. Noch bevor sie aufschreien konnte, beugte er sich schon vor, packte mit einer Hand ein Büschel ihres Haars und hob mit der anderen die Lampe auf.
    »Ich will dir doch nur helfen«, wiederholte er. »Dich retten.«
    »Lassen Sie mich los.«
    »Sei still«, befahl er und riss ihren Kopf zurück. »Wehr dich nicht. Mach nicht, dass ich etwas … Schlimmes tue.«
    »Ich will nach Hause«, sagte Galya mehr zu sich selbst als zu ihm. »Bitte lassen Sie mich nach Hause. Ich werde auch niemandem von Ihnen erzählen oder von diesem Haus. Bitte, ich …«
    »Sei still«, herrschte er sie an, und sein Gesicht kam ganz nahan ihres heran. Sein nach saurer Milch stinkender Atem strich heiß

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