Racheengel
tauchte plötzlich vor seinem geistigen Auge auf, sprang empor wie ein Hai aus dunkler Tiefe. Er schrak zurück und schloss die Augen, bevor es vollends Gestalt annehmen konnte.
Manche Dinge verbarg man besser vor dem Licht des Tages. In seinen Träumen verfolgten sie ihn, daran konnte er nichts ändern, aber in seiner gegenwärtigen Situation hielt er es für besser, sein altes und sein neues Ich voneinander abzuschotten.
Er ließ die Hunde in ihren dunklen Käfigen zurück, drehte eine Runde durch das Gebäude, achtete darauf, dass er auch keine Spuren hinterlassen hatte, und machte sich davon.
Nachdem das Verschwinden der Medikamente entdeckt worden war, hatte die Polizei sich an die Bevölkerung gewandt und darauf hingewiesen, in den falschen Händen könnten sie gefährlich sein. Aber seine Hände waren dafür genau die richtigen, kein Grund zur Sorge also. Er hatte die Medikamente bei seiner Arbeit schon gut gebrauchen können, und so würde es auch heute Abend wieder sein.
So Gott will, dachte er.
Er trug einen Stuhl – denselben, der eben bei seiner Rückkehr umgekippt gewesen war – in den Hausflur und stellte ihn an der Kellertür ab. Dann kehrte er in die Küche zurück und holte die restlichen Sachen. Als alles an seinem Platz war, steckte er die Spritze ein, die Nadel war mit einer Plastikkappe geschützt. Er nahm die Taschenlampe in die rechte Hand und legte die linke auf den Türknauf.
Die Tür schwang auf, und ihm war, als griffe die Dunkelheit nach ihm. Er knipste die Taschenlampe an und richtete den Lichtstrahl auf die Treppe, damit er sah, wo er hintrat. Beim Hinuntergehenlauschte er und hörte irgendwo unten ihr panisches Keuchen.
Sie wusste offenbar, dass es so weit war. Er musste darauf gefasst sein, dass sie irgendetwas versuchen würde. Aber sie war klein und schmächtig, er dagegen kräftig und schwer. Noch einmal würde sie ihn nicht übertölpeln.
Auf der Mitte der Treppe blieb er stehen und ließ den Lichtstrahl über den Keller schweifen, jede Ecke und jeden Spalt leuchtete er ab. Zu seiner Überraschung entdeckte er sie hingekauert neben dem Schrank. Sie hatte nicht versucht, sich zu verstecken. Vielleicht, weil sie selbst erkannt hatte, wie sinnlos das war. Stattdessen hatte sie sich auf den Versuch konzentriert, die Werkzeugkiste zu öffnen. Sie hatte die Kiste auf die Seite gekippt und fummelte mit den Fingern am Schloss herum.
»Vergiss es«, sagte er.
Das Mädchen sah hoch und fletschte die Zähne wie ein Tier, das man beim Abnagen eines Kadavers ertappt hatte. Dabei hatte sie so schöne Zähne, und sofort bereute er sein Gedankenspiel.
»Steh auf«, sagte er und machte noch zwei Schritte auf sie zu.
Sie zerrte an der Klappe des Werkzeugkastens und knurrte dabei so wild, dass ihre Halsmuskeln hervortraten. Dann drehte sie den Kasten auf den Kopf, umklammerte ihn mit beiden Händen und versuchte ihn hochzuheben. Die Werkzeuge schepperten. Sie ließ den Kasten auf den Linoleumboden fallen, offenbar hatte sie versucht, die Klappe aufzubrechen.
»Das hat doch keinen Zweck«, sagte er, schon auf der untersten Stufe. »Die Kiste da taugt was. Die kriegst du nicht kaputt.«
Als er den Linoleumboden betrat, hievte sie die Kiste erneut hoch und versuchte, sie ihm entgegenzuschleudern. Die Kiste flog nur ein paar Zentimeter, dann krachte sie scheppernd auf den Boden.
Sie hockte sich auf ihren zerschundenen Füßen hin, machtesich ganz klein und hielt sich die Hände über den Kopf. Sie murmelte etwas in ihrer fremden Sprache, und er fragte sich, ob es wohl ein Gebet war. Das einzige Wort, das er erkannte, war »Mama«, sie flüsterte es immer und immer wieder.
»Bitte steh auf«, bat er sie.
Sie blieb hocken und wippte auf den Füßen vor und zurück. Den Kopf hatte sie in den Händen verborgen, ihr Mund zitterte auf den Knien.
Er trat hinter sie, nahm die Taschenlampe in die linke Hand und holte mit der anderen die Spritze heraus. Mit den Zähnen zog er die Plastikkappe von der Nadel und spuckte sie auf den Boden. »Bitte«, sagte er. »Zum letzten Mal. Steh auf. Mach es uns nicht noch schwerer.«
Sie vergrub ihren Kopf noch tiefer in den Armen.
Er bückte sich und legte die Lampe auf den Betonboden, ganz leise, um kein Geräusch zu machen. Dann richtete er sich wieder auf. Die Lampe rollte ein paar Zentimeter, der Lichtkegel huschte über die Wände. Er beugte sich wieder hinab, packte sie an den Haaren und riss sie hoch.
Sie schrie auf, als die Nadel in ihre Pobacke
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