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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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entfuhr es ihr. Aller Zorn war verpufft.
    »Ich war fest überzeugt, dass er tot ist. Ich dachte, das Feuer hätte ihn erwischt. Aber dann habe ich heute Morgen eine Karte bekommen, mit nur einem Buchstaben darauf, einem N. Ich habe sie zerrissen und weggeworfen.«
    »Wo kam sie her?«
    »Abgestempelt war sie in Finglas, aber vermutlich hat er sie von jemand anderem abschicken lassen. Er könnte überall sein, höchstwahrscheinlich im Ausland. Aber er muss Kontaktpersonen haben, Leute, die seine Nachrichten weiterleiten.«
    »Dann ist er also vielleicht nicht einmal in Irland«, sagte Susan.
    Lennon betrachtete das geschmackvolle Muster des Teppichs. »Vor ein paar Minuten habe ich einen Anruf von ihm gekriegt. Er hat mir ein bisschen gedroht. Nichts Genaues, aber er hat Ellen erwähnt.«
    Susan kaute auf ihrem Fingernagel. »Glaubst du, er will sie entführen?«
    »Nein, vorerst nicht«, sagte Lennon. »Glaube ich jedenfalls nicht. Wenn er etwas unternehmen wollte, würde er es einfach tun. Da würde er mich nicht vorher warnen. Er will nur, dass ich schlottere. Er will mir Angst einjagen.«
    »Und hat er es geschafft?«
    Lennon sah durch den Türspalt, wie Ellen im Begriff war, Lucy einen Buntstift wegzunehmen.
    »Ja.«
    Susans Finger streichelten über seine Wange. Lennon zitterte.
    »Angst zu haben ist keine Schande«, sagte sie. »In den Augen des ganzen Abschaums, den du hinter Schloss und Riegel bringst, magst du ja vielleicht der große böse Jack sein. Aber ich kenne dich besser, als du denkst.«
    Sie folgte seinem Blick ins Wohnzimmer. »Erst wenn man etwas ganz besonders Wertvolles besitzt, weiß man, wie sich Angst wirklich anfühlt. Sie sind so verletzlich. Ständig trage ich insgeheim diese Angst in mir, ich könnte meine Lucy verlieren. Ich glaube nicht, dass die je aufhören wird.«
    Sie legte ihre Hand flach auf seine Brust, dort, wo sein Herz schlug. »Willkommen im Menschsein«, sagte sie. »Und jetzt geh doch mal und sag deiner Tochter hallo.«
    Lennon gehorchte.
    Ellen sah von ihrer Zeichnung auf, wollte zuerst etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. Sie konzentrierte sich wieder auf das Blatt Papier auf dem Couchtisch. Lucy, offenbar beleidigt, weil sie ihren Buntstift eingebüßt hatte, war davonstolziert und ganz damit beschäftigt, Spielsachen aus der Kiste, zutage zu fördern, in die sie geräumt worden waren.
    »Hallo, Schatz«, sagte Lennon.
    »Mmm«, machte sie.
    »Was machst du da?«, fragte er und setzte sich ihr gegenüber auf das Sofa.
    »Malen«, sagte sie. »Wo warst du?«
    »Bei der Arbeit.«
    »Du hattest gesagt, heute hättest du frei«, sagte Ellen, ohne aufzusehen.
    »Ich weiß. Tut mir leid. Aber heute ist fürchterlich viel passiert.«
    »Gehst du gleich wieder zur Arbeit?«
    Lennon kratzte sich am Kinn und stellte fest, dass er sich rasieren musste.
    »Ja«, sagte er.
    Ellen gab keine Antwort.
    »Aber heute Abend komme ich wieder«, versprach er. »Vielleicht kann ich dich ja noch ins Bett bringen. Und wenn nicht, dann bin ich jedenfalls da, wenn du morgen früh aufwachst. Dann siehst du, was das Christkind dir gebracht hat.«
    »Tante Bernie hat ganz oft angerufen«, sagte Ellen.
    Lennon legte die linke Hand um die rechte Faust. »Ich weiß«, sagte er.
    »Sie will, dass ich Weihnachten zu ihr nach Hause komme.«
    Er schluckte. »Möchtest du denn gern zu Tante Bernie? Oder willst du lieber hier bei mir und Susan und Lucy bleiben?«
    Ellen dachte ein paar Sekunden nach. »Bist du denn da, wenn das Christkind kommt?«
    »Ja«, sagte Lennon.
    »Versprochen?«
    »Ehrenwort.« Lennon legte die Hand aufs Herz.
    »Sag den Rest.«
    »So wahr mir Gott helfe.«
    »Na gut«, sagte Ellen. »Ich bleibe hier.«
    »Danke«, sagte Lennon.
    Er rutschte vom Sofa auf den Boden und kroch um den Tisch herum zu Ellen hin.
    »Was malst du denn da?«, fragte er.
    »Meine Träume.«
    Lennon zeigte auf das Bild eines Mädchens mit gelben Haaren. »Bist du das?«
    Ellen schüttelte den Kopf.
    Er fuhr mit dem Finger an einer Linie rötlich-brauner Fußspurenentlang , quer über das ganze Blatt. »Ist sie durch den Matsch gelaufen?«
    »Nein«, sagte Ellen.
    Das Mädchen in dem Bild stand auf einer Seite des Blattes. Auf der anderen Seite befand sich allem Anschein nach eine ältere Frau und streckte die Arme aus, als wolle sie das Kind herbeiwinken. Zwischen den beiden stand eine dunkle Gestalt, die in wilden Kringeln und Zickzacklinien dahingekritzelt war.
    »Wer ist der da?«, fragte

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