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Racheherz - Roman

Racheherz - Roman

Titel: Racheherz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Körper war so groß, dass er plötzlich den Schmerz der furchtbaren Wunden nicht mehr fühlte, sondern nur noch mit jeder Faser seines Körpers Grauen empfand.
    »Davon wusste ich nichts«, stöhnte er, doch die Worte kamen unüberlegt über seine Lippen, wie ein Hymnus oder eine Litanei, die schon bei zehntausend anderen Gelegenheiten wiederholt worden war und jetzt, da ihm das Denken versagt blieb, das Einzige war, was er noch sagen konnte, weil ihm nichts anderes mehr einfiel.
    »Sie haben es gewusst«, beharrte sie.
    »Ich schwöre, dass ich nichts davon gewusst habe.« Die nächste Litanei. »Ich schwöre, ich wusste von nichts. Ich schwöre, ich wusste von nichts. Ich hätte das nicht über mich gebracht, wenn ich es gewusst hätte.«
    »Dr. Hobb bringt Patienten aus aller Welt nach Schanghai. Im Lauf der Jahre ist für hundertsechzig seiner Patienten binnen eines Monats oder sogar noch schneller ein passendes Herz gefunden worden. Dr. Hobb weiß es.«
    »Vielleicht weiß er es, ich kann nicht für ihn sprechen, ich kann ihn nicht verteidigen. Aber ich wusste nichts davon. «
    »Es heißt, man habe dort schon so viele Menschen ausgeweidet, dass dort, wo ihre Leichen begraben sind, roter Bambus aus dem Boden wächst. Wälder aus rotem Bambus.«
    »Ich wusste von nichts.«
    Sie nahm die Mündung von seinem Gesicht weg und der Schalldämpfer auf der Pistole ließ nur ein leises und erstaunlich organisches Geräusch durch, als sie ihm in den linken Fuß schoss.

55
    Grauen konnte keine Schusswunde betäuben, zumindest nicht vollständig, und es konnte das Blut nicht stillen. Aber die Wunde erwies sich als weniger hinderlich, als Ryan es sich vorgestellt hätte, und rief keine heftigen und sensationellen Schmerzen hervor, keine Qualen, sondern eine Form von Leid, das seinen benebelten Verstand eher klarer werden ließ und dazu führte, dass er augenblicklich von Kopf bis Fuß in Schweiß ausbrach, während gleichzeitig ein Frösteln durch seinen Magen und seine Eingeweide lief und er so heftig erschauerte, dass seine Zähne klapperten.
    Er schrie nicht, weil ihm die Luft dafür fehlte, doch die Frau sagte: »Wenn Sie schreien, bringe ich Sie auf die harte Tour zum Schweigen, und dann wird alles Weitere für Sie nur noch schlimmer, als es ohnehin sein wird.«
    Die Laute, die er von sich gab, waren teils leise und erstickt, teils dünn und bebend und erbärmlich, aber sie würden nicht durch die Hausmauern dringen.
    Statt auf den Boden zu rutschen, zog er sich tiefer in den geräumigen Sessel zurück und hielt mit der rechten Hand den weichen Schuh, in dem sein verwundeter Fuß steckte, da er feststellte, dass sanfter Druck den Schmerz linderte.
    »Nachdem ich meine Lily verloren hatte, habe ich nur noch dafür gelebt, Sie zu finden.«
    Mit ihrer einzigartigen trägen Rastlosigkeit drehte Violet ihre nächste Runde durch das Zimmer, wie ein schwarzer Vogel mit gnadenlosen Absichten, der durch eine offene Tür
hereingeflogen war, ein geflügelter Überbringer unbarmherziger Botschaften, der jetzt auf der Suche nach einem dauerhaften Ruheplatz war.
    »Ich habe zehn Monate gebraucht, um aus China zu fliehen. Drei von uns haben sich während einer Mission abgesetzt. Dann zwei weitere Monate, um in dieses Land zu gelangen, Sie zu beobachten und Pläne zu schmieden.«
    Hinter der Helligkeit seines Schmerzes spülte eine dunkle einlaufende Flut durch Ryans Inneres und stieg über sämtliche Deiche und Kaimauern seiner Abwehr, und unter seiner Todesfurcht sprudelte eine noch schlimmere Furcht. Dieses Gefühl hatte er bisher weder gekannt, noch hätte er sich ausgemalt, dass es existieren könnte.
    »Hobb wusste es«, sagte sie, während sie umherging.
    Und das Einzige, was Ryan jetzt hervorbrachte, war: »Er hat es mir nicht gesagt.«
    »Natürlich hat er nicht gesagt: ›Lassen Sie uns nach Schanghai fliegen und einem Mädchen, das bei bester Gesundheit ist, das Herz für Sie rausreißen.‹«
    »Wenn er es mir nicht gesagt hat, wie hätte ich es dann wissen können?«, brachte er zu seiner Verteidigung hervor, aber sein Plädoyer klang sogar in seinen eigenen Ohren schwach. »Woher hätte ich es wissen sollen?«
    »Durch das, was er Ihnen stillschweigend zu verstehen gegeben hat.«
    Dazu konnte er nichts sagen.
    Sie dachte gar nicht daran, sich seiner zu erbarmen: »Und durch das, was Sie daraus gefolgert haben.«
    Die dunkle Flut, die seine Deiche durchbrach, nachdem er sie so lange verteidigt hatte, war eine Flut der

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