Racheherz - Roman
Gesellschaft besessen war, hatte ihn schon immer mit Besorgnis erfüllt. Er schämte sich, selbst dieser Bewusstseinstrübung zu erliegen, die ihn bei anderen störte. Er hatte ein paar beunruhigende Fakten vorliegen, doch er versuchte aus Fieberfantasien weitere zu fabrizieren.
Ryan stand leise aus dem Bett auf. Samantha rührte sich nicht.
Ein Fenster ließ Mondlicht herein, doch es war so schwach, dass Ryan die Möbel nicht hätte wahrnehmen können, wenn er mit dem Zimmer nicht so vertraut gewesen wäre.
Eigentlich nur mit der Intuition eines Blinden fand er seine Kleidungsstücke, zog sich an und suchte sich leise einen Weg durch das Schlafzimmer. Geräuschlos zog er die Tür hinter sich zu.
Seine Vertrautheit mit dem Grundriss des Apartments und seine Augen, die an das Dunkel gewöhnt waren, erlaubten es ihm, die Küche zu erreichen, ohne die Füße falsch aufzusetzen oder gegen etwas zu stoßen. Er schaltete das Licht über dem Spülbecken an.
Auf dem Notizblock neben dem Telefon hinterließ er ihr eine Nachricht: Sam, die manische Schlaflosigkeit hat wieder mal zugeschlagen. Zu aufgekratzt, um stillzuliegen. Rufe dich morgen an. Alles Liebe, Winky.
Er fuhr nach Hause und packte dort einen Koffer.
In dem riesigen Haus herrschte die Stille des luftleeren Raums zwischen Planeten. Obwohl er nur wenige leise Geräusche verursachte, erschien ihm jedes so laut wie ein Donnerschlag.
Er fuhr zu einem Hotel, in dem ihn keiner seiner Hausangestellten suchen würde und auf das auch niemand käme, den er in seinem Privatleben kannte.
In einem anonymen Zimmer schlief er in einem zu weichen Bett sechs Stunden lang so tief, dass er nicht träumte. Als er am Samstagmorgen aufwachte, lag er noch in der Fötushaltung, in der er eingeschlafen war.
Seine Hände schmerzten. Offenbar hatte er sie während des größten Teils der Nacht zu Fäusten geballt.
Bevor er beim Zimmerservice ein Frühstück bestellte, machte Ryan zwei Telefonanrufe. Der erste ging an Wilson Mott, den ehemaligen Polizeibeamten. Im zweiten veranlasste er alles Nötige, damit ihn einer der Firmenjets von Be2Do nach Las Vegas flog.
14
Die messerscharfen Strahlen der Wüstensonne häuteten die Luft und schnitten bis auf die Knochen in sie hinein. Die flirrende Hitze, die von der makadamisierten Rollbahn aufstieg, war so trocken wie der Atem eines toten Meeres.
Der Learjet und die Besatzung würden sich in Bereitschaft halten, um Ryan am folgenden Morgen in den Süden Kaliforniens zurückzubringen.
Eine schwarze Mercedes-Limousine mit Chauffeur erwartete ihn vor dem Terminal für Privatflugzeuge. Der Fahrer stellte sich als George Zane vor, ein Angestellter von Wilson Motts Sicherheitsdienst.
Er trug einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte und dazu Stiefel, die so aussahen, als könnten sie mit Stahlkappen verstärkt sein.
Zwei Knoten hervortretenden bleichen Narbengewebes zeichneten sich am Stirnansatz auf seinem rasierten Schädel ab. Zane war groß und muskulös und stiernackig. Er hatte breite Nasenlöcher und durchdringende Augen, die so violettschwarz waren wie die Schale von Pflaumen. Er sah aus, als hätte er Stierblut in seinem Stammbaum, was vermuten ließ, dass die Narben auf seinem Schädel von der chirurgischen Entfernung der Hörner stammten.
Er war nicht nur Chauffeur, sondern auch Leibwächter und noch einiges mehr. Nachdem Zane Ryans Koffer im Kofferraum verstaut hatte, öffnete er ihm eine der hinteren Türen der Limousine und überreichte ihm ein Wegwerfhandy.
»Solange Sie hier sind«, sagte Zane, »machen Sie alle Anrufe damit. Das lässt sich niemals zu Ihnen zurückverfolgen.«
Wie eine Luxuslimousine war auch diese Sonderausführung nach Kundenwünschen mit einer elektrischen Trennscheibe zwischen Vorder- und Rücksitz ausgestattet.
Durch die getönten Scheiben schaute Ryan auf die kargen Wüstenberge in der Ferne, bis ein Labyrinth von Hotel- und Casinotürmen den Blick in die Landschaft versperrte.
Vor dem Hotel, in dem Ryan übernachten würde, parkte Zane in einer VIP-Zone. Während Ryan im Wagen wartete, trug der Fahrer den Koffer hinein.
Bei seiner Rückkehr öffnete Zane eine der hinteren Türen, um Ryan eine elektronische Schlüsselkarte zu überreichen. »Zimmer elfhundert. Es ist eine Suite. Sie ist auf meinen Namen gebucht. Ihr Name taucht nirgendwo auf, Sir.«
Als sie von dem Hotel wegfuhren, läutete das Wegwerfhandy, und Ryan nahm den Anruf entgegen.
Eine Frau sagte:
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