Racheherz - Roman
schneller schlagen.
Als er mit der Küche, der Essecke und dem Wohnzimmer fertig war, beschloss er, sich keine Scham und auch sonst keine starken Gefühle zu leisten, die einen Anfall auslösen konnten. Nüchtern und distanziert setzte er seine Suche fort.
Aus der Einrichtung schloss er, dass sich Rebecca wenig aus den Freuden von Heim und Herd machte. Die minimalistische Ausstattung war in langweiligen Beige- und Grautönen gehalten. Nur ein Bild - irgendein abstraktes Nichts - hing im Wohnzimmer, über dem Essplatz gar keines.
Das Fehlen jeglicher Andenken und Erinnerungsstücke gab einen Hinweis darauf, dass sie keine rührselige Frau war.
Aber das Fehlen von Staub, die alphabetische Anordnung der Gewürze in der Küche und die exakte Verteilung von sechs Zierkissen auf dem Sofa ließen den Schluss zu, dass Rebecca Wert auf Sauberkeit und Ordnung legte. Alles wies daraufhin, dass sie ein ernsthafter Mensch mit herbem Herzen war.
Als Ryan das Arbeitszimmer betrat, läutete das Wegwerfhandy. Auf dem Display wurde keine Nummer angezeigt.
Als er Hallo sagte, meldete sich niemand, doch nachdem er ein zweites Mal Hallo gesagt hatte, begann eine Frau leise
eine Melodie zu summen. Er kannte das Lied nicht, aber ihr Summen klang lieblich und harmonisch.
»Wer ist da?«, fragte er.
Die leise Stimme wurde noch leiser, verklang immer mehr, war nur noch schwach zu hören, drang aber dennoch zu ihm durch und wurde immer leiser, bis sie in Stille überging.
Mit seiner freien Hand tastete er den Verband an seinem Hals ab, wo am Vortag der Katheter in seine Drosselader eingeführt worden war.
Obwohl die Sängerin keine Wörter gesungen hatte, erkannte Ryan die Stimme vielleicht unterbewusst - oder bildete sich zumindest ein, dass er es tat -, denn das Bild der smaragdgrünen Augen und des glatten dunklen Gesichts von Ismay Clemm, der Schwester im kardiologischen Diagnostiklabor des Krankenhauses, tauchte ganz von selbst auf.
Nachdem er fast eine Minute darauf gewartet hatte, dass die Sängerin ihre Stimme wiederfand, drückte er auf BEENDEN und steckte das Telefon wieder in eine Hosentasche.
In seiner Erinnerung hörte er, was Ismay zu ihm gesagt hatte, während er zwischen Schlafen und Wachen gewesen war: Du hörst ihn, nicht wahr, Junge? Ja, du hörst ihn. Du darfst nicht auf ihn hören, Junge.
Ein ganz ungutes Gefühl bemächtigte sich seiner und er wäre fast aus der Wohnung geflohen. Er gehörte nicht hierher.
Er atmete tief ein, langsam wieder aus und rang darum, seine Nerven in den Griff zu kriegen.
Er war nach Las Vegas gekommen, um die Wahrheit über die Bedrohung, der er ausgesetzt war, herauszufinden, ob er nur die Natur zu fürchten hatte oder stattdessen ein dichtes
Netz von Verschwörern. Sein Leben konnte davon abhängen, dass er seine Nachforschungen abschloss.
Rebeccas Arbeitszimmer erwies sich als ebenso gesichtslos möbliert und unpersönlich wie die anderen Räume. Auf ihrem Schreibtisch lag nichts, absolut nichts.
Etwa hundert gebundene Bücher füllten ein Regal. Es waren ausschließlich Ratgeber zur Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit und zu Investitionen.
Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass keines der Bücher ein ernstzunehmendes Programm enthielt. Sie handelten von der mystischen Kraft positiven Denkens, vom Wunsch nach Erfolg als Weg zum Erfolg, um das eine oder andere tiefgründige Geheimnis, das die Finanzen und das Leben des Lesers garantiert revolutionieren würde.
Im Großen und Ganzen ging es in allen Büchern darum, wie man schnell reich wird. Sie versprachen gewaltigen Reichtum bei geringem Arbeitsaufwand.
Wenn Rebecca so viel Literatur zu diesem Thema zusammengetragen hatte, gab das einen Hinweis darauf, dass sie schon jahrelang von Reichtum träumte. Mittlerweile, im Alter von sechsundfünfzig Jahren, könnten Enttäuschungen und Frust Verbitterung hervorgerufen haben - und Ungeduld.
Keines dieser Bücher würde vorschlagen, dass man seine Tochter mit einem reichen Mann verheiratete und ihn danach vergiftete, um an sein Vermögen zu kommen. Jeder Mensch, ob belesen oder unbelesen, konnte sich einen solchen Plan ausdenken und brauchte dafür nicht die Anregung eines Buches.
Ryan bedauerte augenblicklich, dass er zu einer so unfreundlichen Schlussfolgerung gelangt war. Dass er Rebecca
eines solchen Schurkenstreichs verdächtigte, war Samantha gegenüber unfair.
Vor Monaten hatte er Sam einen Heiratsantrag gemacht. Wenn sie an einer Intrige beteiligt
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