Racheherz - Roman
auslösen könne. Er überlebte.
Als sie sich hinterher aneinander kuschelten und er einen Arm um Samantha geschlungen hatte, deren Kopf auf seiner Brust lag, sagte er: »Ich bin ein solcher Idiot.«
Sie seufzte. »Zu der Erkenntnis bist du doch bestimmt nicht eben erst gelangt.«
»Nein. Auf den Gedanken bin ich schon früher gekommen.«
»Und was ist kürzlich vorgefallen und hat dich daran erinnert?«
Wenn er ihr seine absurden Verdächtigungen gestand, würde er gezwungen sein, auch seine Gesundheitsprobleme zur Sprache zu bringen. Er wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte, bevor er Dr. Guptas Bericht hatte und das volle Ausmaß seines Problems kannte.
Stattdessen sagte er: »Ich habe diese Sandalen weggeworfen.«
»Die aus recycelten alten Autoreifen?«
»Ich bin auf den umweltfreundlichen Namen der Firma reingefallen - Grünes Schuhwerk.«
»Du bist grandios, Dotcom, aber ein Trottel bist du trotzdem.«
Lange Zeit redeten sie über nichts Wichtiges, aber das sind ja manchmal die besten Gespräche.
Samantha schlief ein, eine goldene Vision im Lampenlicht, und Ryan tauschte ihren beruhigenden Anblick gegen Träume ein.
Ein Traum ging übergangslos in den anderen über, bis er sich in einer Stadt auf dem Meeresboden befand, auf dem Grund eines Grabens. Heiligtümer, Paläste und Türme wurden schaurig angestrahlt, so dass das Licht an Kuppeln und Firsten, an prächtigen Hallen, Tempeln und babylonisch anmutenden Festungsmauern hinauf glitt. Er schwebte durch überflutete Straßen, in der Stille der Tiefsee ertränkt … bis er einen Bass hörte, der in seinen Schwingungen etwas melancholisch Bedrohliches an sich hatte. Obwohl ihm der Ursprung des Geräuschs bekannt war, wagte er nicht, die Klangquelle zu benennen, denn ihr einen Namen zu geben hätte bedeutet, sie zu akzeptieren.
Er erwachte bei schwachem Licht. Das Grauen, das ihn niederdrückte, rührte nicht von einer akuten Bedrohung her, sondern von gewaltigen Gefahren, die er in den bevorstehenden Wochen und Monaten auf sich zukommen ahnte. Und es war nicht das Versagen seines Körpers, sondern ein schlimmeres namenloses Risiko. Sein Herz raste nicht, doch jeder Schlag war wie das behäbige Stampfen eines Kolbens in einer riesigen langsamen Maschine.
Samanthas betörender Duft hing zwar noch in der Bettwäsche, doch sie war aufgestanden, während Ryan geschlafen hatte. Er war allein im Zimmer.
Die Digitaluhr auf dem Nachttisch zeigte 23:24 an. Er hatte weniger als eine Stunde geschlafen.
Das Licht, das durch die halboffene Tür fiel, rief ihm das
eigentümliche Schimmern in der überfluteten Stadt seines Traums ins Gedächtnis zurück.
Er schlüpfte in seine Hose und machte sich auf die Suche nach Sam.
Im Wohn- und Esszimmer brannte neben einem Lehnstuhl eine bronzene Stehlampe mit einem Schirm aus Glasperlen. Ihr cognacfarbenes Licht sprenkelte den Boden mit perlenförmigem Schimmer und perlenförmigen Schatten.
Die Küche grenzte an dieses Zimmer, und dort stand die Tür zur Veranda offen, auf der sie beim Abendessen gesessen hatten.
Die Kerzen waren gelöscht. Nur schwacher Mondschein verlieh der Luft einen matten Glanz und die Äste des alten Baumes wirkten in der Dunkelheit wie Fangarme.
Die milde Luft roch leicht nach dem nahen Meer, war jedoch vor allem großzügig mit Jasminduft parfümiert.
Samantha war nicht auf der Veranda. Eine Treppe führte auf den Hof zwischen der Garage und dem Haus hinunter.
Murmelnde Stimmen drangen von dort herauf und führten Ryan von der Treppe fort zu einem Geländer. Als er hinabblickte, sah er Samantha, weil ein Strahl des Mondes ihr Haar von Gold zu Silber abwertete und ihren Morgenmantel aus perlweißer Seide streichelte.
Die zweite Person stand im Schatten, aber aus dem Timbre der Stimme konnte Ryan eindeutig schließen, dass es sich um einen Mann handelte.
Er konnte die Worte nicht verstehen und aus dem Klang des Gesprächs auch nicht auf die Stimmung schließen.
Wie in der vorangegangenen Nacht in dem Küchenvorraum, als er vergeblich versucht hatte, eine geflüsterte Unterhaltung in der Küche zu belauschen, überkam ihn schleichendes
Unbehagen, eine quälende Ahnung verborgener Dimensionen und geheimer Bedeutungen in Dingen, die ihm bis dahin simpel, eindeutig und vollkommen verständlich erschienen waren.
Aus einer klanglichen Veränderung der Stimmen schloss Ryan, dass die Unterredung dem Ende zuging. Tatsächlich wandte sich der Mann von Samantha ab.
Als der Fremde sich
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