Racheherz - Roman
schicken würde, ob er selbst das wollte oder nicht.
Seine intuitive Ahnung, Sams Mutter - oder vielleicht sogar Sam selbst - hätte etwas mit seinen schlagartig aufgetretenen gesundheitlichen Problemen zu tun, wurde dadurch allerdings nicht bestätigt.
Im Leben gab es schließlich oft Gleichzeitigkeit, erstaunliche Zusammenhänge, die bedeutsam zu sein schienen. Aber ein Zufall war letztlich nichts weiter als ein Zufall.
Es konnte ja sein, dass Barghest ein fieser Kerl war, aber an seiner Beziehung zu Rebecca war nichts Unheimliches, nichts, das etwas mit Ryan zu tun hatte.
In seiner derzeitigen Gemütsverfassung musste er sich vor einem Hang zur Paranoia hüten. Diese bedauerliche Neigung hatte ihn bereits dazu gebracht, Motts Bericht über Samanthas Mutter anzufordern.
Rebecca hatte sich als eine ganz gewöhnliche Person erwiesen, die ein absolut normales Leben führte. Ryans Verdacht war irrational gewesen.
Wenn er es sich recht überlegte, war es nicht weiter erstaunlich, dass Spencer Barghest eine Rolle in Rebecca Reachs Leben spielte. Sein Vorhandensein konnte noch nicht einmal als Zufall gelten und schon gar nicht als verdächtig.
Vor sechs Jahren hatte sie den schwierigen Entschluss gefasst, ihre hirntote Tochter nicht weiter über eine Magensonde ernähren zu lassen. Die Last der Schuld könnte sie niedergedrückt haben - insbesondere, nachdem sich Samantha so energisch gegen ihre Entscheidung ausgesprochen hatte.
Um die Schuldgefühle zu mildern, könnte sich Rebecca in Literatur vertieft haben, die das Recht zu sterben zum Thema hatte, auf der Suche nach philosophischen Rechtfertigungen für das, was sie getan hatte. Vielleicht hatte sie sich sogar einer entsprechenden Organisation angeschlossen und war auf einem Gruppentreffen Spencer Barghest begegnet.
Da Samantha ihrer Mutter seit Teresas Tod entfremdet war, wusste sie wahrscheinlich noch nicht einmal, dass Barghest und Rebecca eine feste Beziehung miteinander hatten.
Ryan schämte sich, weil er an Samantha gezweifelt hatte. Jetzt stand er von der Sonnenliege am Pool auf und kehrte in sein Arbeitszimmer zurück.
Er setzte sich an seinen Schreibtisch und schaltete den Aktenvernichter ein. Einen langen Moment saß er da und lauschte dem Surren des Motors und den Klingen, die sich gegenläufig drehten.
Schließlich schaltete er den Aktenvernichter wieder aus. Er legte den Bericht in einen Wandtresor hinter einer Gleitscheibe in der Rückwand eines Einbauschranks.
Die Furcht hatte sich so fest in ihn verbissen, dass er ihre Kiefer nicht ohne weiteres aufstemmen konnte.
12
Im Laufe der Jahre war der riesige Pfefferbaum um die Veranda im ersten Stock herum gewachsen und hatte sich ihr angepasst. Daher war das Gefühl, sich in einem Baumhaus zu befinden, hier noch ausgeprägter als bei einem Blick durch die Fenster der Wohnung.
Samantha hatte eine rotkarierte Decke auf dem Balkontisch ausgebreitet und ihn mit weißem Geschirr, Besteck und weißen Rosen in einer roten Schale gedeckt.
Die untergehende Sonne ließ, durch den Baum gefiltert, ihr Licht wie zahllose funkelnde Goldmünzen auf sie fallen, während sie Ryan einen Cabernet Sauvignon einschenkte, der ihren Etat überschritt. Gleichzeitig begründete er den Verband an seinem Hals mit einer Lüge.
Nach einem leuchtend roten Sonnenuntergang und einer purpurnen Abenddämmerung zündete sie rote Kerzen in transparenten Gläsern an und servierte das Abendessen, gerade als die Sterne hervorkamen, während im Hintergrund leise eine CD von Connie Dover mit keltischer Musik lief.
Da er seiner Furcht gestattet hatte, Zweifel an Sam zu wecken und ihn dazu zu bringen, Nachforschungen über ihre Mutter anzustellen, rechnete Ryan anfangs damit, dass er sich in Sams Gesellschaft unbehaglich fühlen würde. In gewisser Weise hatte er sie hintergangen.
Er fühlte sich jedoch in ihrer Gegenwart sofort wohl. Ihre einmalige Schönheit trug mehr dazu bei, seine Stimmung zu bessern, als der Wein, und das vorzüglich zubereitete Abendessen
war weniger stärkend als die makellose goldene Glätte ihrer Haut.
Nach dem Abendessen, als sie das Geschirr im Spülbecken gestapelt hatten und beim letzten Glas Wein saßen, sagte sie: »Lass uns ins Bett gehen, Winky.«
Plötzlich war Ryan besorgt, Impotenz könnte sich als ein Symptom seiner Krankheit erweisen. Diese Befürchtung hätte er sich sparen können.
Im Bett fragte er sich noch kurz, ob der Beischlaf sein Herz wohl überstrapazieren und einen Anfall
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