Racheherz - Roman
ganzes dreistöckiges Gebäude in einer ruhigen Straße am Rande des Geschäftsviertels von Beverly Hills ein.
Dieses elegante neoklassizistische Gebäude - weiß mit schwarzem Schieferdach, von alten Magnolien umstanden, deren große Blätter Schatten auf die Mauern warfen - sah eher wie ein Wohnhaus als nach Geschäftsräumen aus. Nur ein diskretes Messingschild neben der Haustür gab einen Hinweis auf die Nutzung der Villa: DR. D. HOBB.
Drei Türen führten von der Eingangshalle ab, und die auf der rechten Seite trug die Aufschrift TERMINE.
Der Raum dahinter erwies sich als das Wartezimmer. Der Boden war mit Santos-Mahagoni ausgelegt und darauf schwebte ein alter Perserteppich, ein Täbris aus dem 19. Jahrhundert, der schimmerte, als sei er aus Gold gesponnen. Die bequemen Sessel und die eleganten Beistelltische deuteten an, dass Patienten hier wie Gäste behandelt wurden.
Ryan konnte die leise klassische Hintergrundmusik nicht identifizieren, empfand sie jedoch als beschwichtigend.
Die Empfangsdame, eine attraktive Frau in den Vierzigern, trug weder Schwesterntracht noch einen dieser unförmigen Trainingsanzüge, die man heutzutage in den meisten Arztpraxen antraf, sondern ein beiges Strickkostüm von Designerqualität.
Sowohl die Empfangsdame als auch die Arzthelferin Laura, die Ryans medizinische Vorgeschichte in einem kleinen Konferenzzimmer aufnahm, waren redegewandt, professionell, effizient und warmherzig in ihrem Auftreten.
Ryan hatte das Gefühl, aus einem Orkan in einen sonnigen Hafen gesegelt zu sein.
Laura, die Mitte, Ende zwanzig sein mochte, trug ein ovales Medaillon an einer kunstvoll geflochtenen goldenen Kette um den Hals. Das emaillierte Bild auf dem Medaillon zeigte einen stilisierten Vogel in Rot- und Goldtönen, der sich mit ausgebreiteten Flügeln aufschwang.
Als Ryan ihr ein Kompliment zu der Schönheit des Medaillons machte, sagte die Arzthelferin: »Das ist ein Phönix. Frühes neunzehntes Jahrhundert. Dr. Hobb hat es mir zu meinem dritten Hochzeitstag geschenkt.« Sein Erstaunen entging ihr nicht und ihre hellen Wangen färbten sich rosa, bevor sie den Eindruck, den sie ihm vermittelt hatte, rasch korrigierte. »Der Arzt ist mein Schwiegervater. Und
Andrea - Mrs Barnett, die Empfangsdame - ist seine Schwester.«
»Eine Arztpraxis stellt man sich nicht als einen Familienbetrieb vor«, sagte Ryan.
»Eine wunderbare Familie«, sagte sie. »Sie stehen einander sehr nah. Blake, mein Mann, hat in Harvard Medizin studiert.«
»Kardiologie?«
»Kardiovaskuläre Chirurgie. Wenn er seine Zeit als Assistenzarzt hinter sich hat, wird er gemeinsam mit Dougal - Dr. Hobb - in der Praxis arbeiten.«
Wenn er an die Gleichgültigkeit seiner Eltern gegenüber den Werten Familie und Tradition dachte, beneidete Ryan den Hobb-Klan.
Statt ihn direkt in einen Untersuchungsraum zu bringen, führte Laura ihn erst in Dougal Hobbs Arbeitszimmer. »Er wird gleich zu Ihnen kommen, Mr Perry.«
Wieder fühlte er sich wie in einer Privatwohnung, nicht wie in einer Arztpraxis, obwohl an einer Wand die Diplome des Chirurgen und zahlreiche Auszeichnungen hingen. Da ihm Wilson Mott eine umfangreiche Akte über den Chirurgen vorgelegt hatte, machte Ryan sich gar nicht erst die Mühe, die gerahmten Zertifikate an der Wand zu betrachten.
Stattdessen stand er bei Dr. Hobbs Eintreten da und bewunderte das Kirschbaumfurnier des Biedermeierschreibtischs mit den Intarsien aus Ebenholz.
Hobb war nicht mal eins achtzig und wirkte fit, aber nicht übertrieben durchtrainiert. Er trug eine graue Hose aus Wollstoff, eine kirschrote Strickjacke und ein weißes Hemd ohne Krawatte. Das war kein expliziter Powerlook, und doch
hatte Ryan das Gefühl, eine Naturgewalt hätte das Arbeitszimmer betreten.
Hobb hatte einen klaren Bariton und sprach doch leise, mit einem ganz leichten liebenswürdigen Akzent, der möglicherweise auf Carolina hinwies. Er hatte einen dichten grau melierten Haarschopf, aber keine silberne Löwenmähne; seine braunen Augen sahen ihn direkt und offen an, hatten aber nichts Auffälliges; seine Gesichtszüge waren angenehm, ohne wirklich attraktiv zu sein. Dennoch schien er den Raum mit seiner Gegenwart auszufüllen.
Sie setzten sich auf Lehnstühle, die sich an einem runden Biedermeiertisch mit prachtvoll gemasertem Walnussfurnier gegenüberstanden, um einander, wie Dr. Hobb es ausdrückte, »kennenzulernen«.
Innerhalb von wenigen Minuten begriff Ryan, dass Dr. Hobb einen so starken Eindruck machte,
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