Racheherz - Roman
weil er vom ersten Moment an zurückhaltend und sogar bescheiden wirkte, obwohl sein großes chirurgisches Geschick und seine Erfolge übertriebenen Stolz, wenn nicht gar Arroganz hätten erwarten lassen. Doch er schien sich wirklich etwas aus einem zu machen und von einem Mitgefühl motiviert zu sein, das er vermitteln konnte, ohne dass es klang, als verkaufe er sich oder verhätschele seinen Patienten.
»Diese letzten drei Monate«, sagte Ryan, »waren natürlich beängstigend und entmutigend, aber was es mir zunehmend schwerer macht, damit fertigzuwerden, ist noch etwas anderes. Es ist die Eigentümlichkeit dieser Monate, die regelrecht unheimlich waren, das Gefühl, es sei nicht nur die Krankheit, sondern in meinem Leben liefe auch sonst noch etwas furchtbar schief. Ich denke immer wieder, dass mich jemand manipuliert, dass ich nicht mehr über mein eigenes
Leben bestimmen kann, dass die medizinische Versorgung, die ich erhalte, nicht die ist, die ich erhalten sollte. Mir ist klar, dass so eine Diagnose bei einem Typen in meinem Alter leicht zu Paranoia führen kann, weil sie einen so unerwartet trifft. Ich meine, ich bin doch erst vierunddreißig, und die Vorstellung, dass ich bald sterben werde, will mir einfach nicht in den Kopf.«
»So weit werden wir es gar nicht erst kommen lassen«, sagte Dr. Hobb und beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Wir werden es schlicht und einfach nicht so weit kommen lassen.«
Wenn man bedachte, wie schlecht Ryans Aussichten standen, glaubte er eigentlich nicht, dass man eine so zuversichtliche Behauptung wie die, die Hobb aufgestellt hatte, ernst nehmen konnte, doch er tat es trotzdem. Er gelangte sogar zu der festen Überzeugung, Dougal Hobb würde ihn nicht sterben lassen, und er wurde von einer solchen Erleichterung erfüllt, von einer solchen Dankbarkeit überwältigt, dass ihm alles vor den Augen verschwamm und er einen Moment lang keinen Ton herausbrachte.
28
An jenem Tag widmete sich Dr. Hobb fast ausschließlich Ryan. Er unterzog ihn zahlreichen Untersuchungen, mutete seinem Patienten jedoch keine weitere myokardiale Biopsie zu. Er ging von der vernünftigen Annahme aus, das Labor hätte die Gewebeproben, die Dr. Gupta vorgelegt hatte, ordnungsgemäß analysiert.
Zur Sicherheit ordnete er eine Blutuntersuchung mit einer erst kürzlich entwickelten Spitzentechnologie an, denn er suchte nach Anzeichen für Schlüsselgene zur Bestätigung von anomalen Herzmuskelfunktionen, die mit erblicher Kardiomyopathie in Einklang standen. Er fand sie.
Ryan machte sich keine Illusionen, Dr. Guptas Diagnose würde umgestoßen werden. Was er von Dougal Hobb wollte, war die Hoffnung, die dem Wissen entsprang, dass er von einem brillanten Arzt behandelt wurde, der sich der aggressiven Ausübung des Medizinerberufs auf seinem Spezialgebiet so hingebungsvoll verschrieben hatte, wie Ryan sich dem aggressiven Aufbau von Be2Do.
Dr. Hobb verordnete ihm zwei Präparate, die bereits Bestandteil von Ryans derzeitigem Medikamentenplan waren, strich zwei andere und fügte drei weitere hinzu.
Um sieben Uhr abends, als sie wieder in seinem Arbeitszimmer saßen und bevor er Ryan an die Küste von Newport zurückschickte, überreichte der Arzt ihm einen handlichen kleinen Funknotrufsender. Ryan brauchte nur eine einzige Taste zweimal zu drücken und würde über
eine Uplinkverbindung mit einem Notdienst verbunden werden.
»Tragen Sie ihn ständig bei sich«, riet ihm Hobb. »Machen Sie es sich zur Gewohnheit, ihn jede Nacht auf Ihrem Nachttisch aufzuladen. Aber nehmen Sie ihn aus der Ladestation und nehmen Sie ihn mit, wenn Sie ins Badezimmer gehen. Für den Fall, dass Ihnen dort etwas zustoßen sollte, das Sie außer Gefecht setzt.«
Er nannte Ryan eine Reihe von Notsituationen - wie beispielsweise die Episode mit der Atemnot -, bei deren Eintreten er den Funknotrufsender unverzüglich benutzen sollte.
»Und falls ich Nachricht erhalten sollte, dass Ihr Warten ein Ende findet, weil ein passendes Herz für Sie gefunden worden ist«, sagte Hobb, »dann werde ich über eben diesen Dienst Kontakt zu Ihnen aufnehmen. Zeit ist in diesen Dingen ausschlaggebend. Ich verlasse mich nicht gern auf gewöhnliche Telefone. Patienten schalten sie aus, ohne sich etwas dabei zu denken, oder sie leiten sie auf ihre Mailbox um. Solange dieses Gerät geladen ist, ist es in Betrieb. Es hat keine Taste zum Ausschalten. Sorgen Sie stets dafür, dass es geladen ist, und tragen Sie es bei sich. Der Tag könnte bald
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