Racheherz - Roman
Furcht war geblieben. Der Schweiß, der ihn bedeckte, war abgekühlt.
Er drehte sich um, suchte nach dem Ursprung des Geräuschs und legte den Kopf schief, um dem beharrlichen,
metronomartigen Pochen auf die Schliche zu kommen. Er lief ein paar Schritte in eine Richtung, dann in eine andere, und blieb wiederholt stehen, um zu lauschen.
Er begab sich vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer, wieder ins Schlafzimmer und dann zwischen die verspiegelten Wände seines Badezimmers, die schwarzen Granit, goldenen Onyx und Edelstahl zurückwarfen. Auch in diesem Labyrinth von Spiegelungen hielt das Klopfen an und war so laut wie überall sonst auch.
Einen Moment lang war Ryan überzeugt, das Geräusch käme von unten und seine Allgegenwart - immer dieselbe Lautstärke, dasselbe Timbre in jedem Raum - wiese auf eine Geräuschquelle unter den Bodendielen hin, die, wenn es auch noch so unglaublich schien, beweglich war und ihm folgte.
Aber dann erinnerte er sich wieder daran, dass die Böden aus Leichtbeton waren, der eigens zu dem Zweck ausgewählt worden war, Geräusche zu schlucken. Es gab keine Bodendielen, die man herausreißen konnte, keine Hohlräume unter den Füßen, durch die ihn die Klangquelle verfolgen konnte.
Er blickte zur Decke hinauf, der einzigen anderen ebenen Fläche, die diese Räume im zweiten Stock miteinander gemeinsam hatten, und er dachte an den Dachboden darüber. Ihm ging die möglicherweise wahnsinnige und mit Sicherheit groteske Vorstellung durch den Kopf, über ihm schliche jemand herum, ein Phantom, das die Keller von Opernhäusern gegen höher gelegene Jagdgründe eingetauscht hatte und Ryans jeweiligen Standort elektronisch überwachte, und das nur zu dem Zweck, ihn mit dem Pochen zu foltern, dem leisen Pochen, diesem leisen Klopf-klopf-klopf , nur damit und sonst gar nichts.
Diese absurde Spekulation stellte er allerdings nur für Sekunden an, denn ihm wurde abrupt klar, dass das Geräusch aus seinem Innern kam. Es war zwar nicht das klassische Herzklopfen, doch es ließ sich mit diesen Rhythmen in Verbindung bringen. Es war ein unheilvolles Pochen, das der Fehlfunktion seines Herzens entstammte, nicht Knöcheln in einem Handschuh, die an eine Tür pochten, es war auch kein fetter Nachtfalter, der gegen eine Fensterscheibe stieß, sondern das Geräusch von Blut und Muskeln, und wenn es diesmal nicht verklang, wie es bisher verklungen war, sondern lange genug anhielt, dann würde nicht Ryan auf das Klopfen antworten, sondern der Tod.
Er duschte so heiß, wie er es gerade noch aushielt, und hoffte, damit die Kälte aus seinen Knochen zu vertreiben. Das leise Pochen kam und ging und kam wieder, aber er wischte den Wasserdampf nicht von der Glastür und erwartete auch nicht, die grinsende Fratze eines Eindringlings zu sehen.
Als er sich in seinem geräumigen Ankleidezimmer anzog, hätte das Klopfen von der Rückseite jedes der drei Spiegel, jeder Schranktür oder aus dem Innern jeder Schublade kommen können, aber Ryan brauchte nicht mehr nach dem Ursprung zu suchen.
Die superlange Limousine, die er bestellt hatte, traf um acht Uhr ein. Der Fahrer nannte sich Naraka, und Ryan wusste nicht, ob das sein Vorname oder sein Nachname war.
Als sie vom Haus wegfuhren, verstummte das innere Klopfen und kehrte auf der langen Fahrt von der Küste Newports bis ins ferne Beverly Hills nicht ein einziges Mal zurück.
Noch vor dem Abendessen mit Samantha hatte Ryan sich einen Notfalltermin bei Dr. Dougal Hobb geben lassen.
Sams Missbilligung hatte ihn erwägen lassen, den Termin abzusagen, doch er hatte die endgültige Entscheidung bis zum letzten Moment aufgeschoben, bis zu diesem Morgen.
In Anbetracht der erschreckenden Atemprobleme in der Nacht und der verspäteten Erkenntnis, dass es sich bei dem gelegentlichen Pochen um einen gedämpften Ton aus seinem Inneren handelte, war er zu dem Schluss gekommen, ein Gespräch mit Hobb sei ratsam.
Ryan teilte weder Dr. Gupta noch Forry Stafford seinen Entschluss mit. Er erzählte nicht einmal Samantha davon.
Rücksprache hielt er lediglich mit seinem Selbsterhaltungstrieb, der ihm sagte, ein Treffen mit Hobb sei nicht nur ratsam, sondern für den Erhalt seines Lebens unerlässlich, so wie ein feuerfreies Treppenhaus für einen Mann, der im Inferno eines brennenden Hochhauses gefangen war.
Dr. Dougal Hobb hatte seine Praxisräume nicht, wie viele andere Ärzte, in einem der funkelnden Wolkenkratzer, die den Wilshire Boulevard säumten. Seine Praxis nahm ein
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