Racheherz - Roman
die Frau: »Ich kann Sie töten, wann ich will. Jederzeit.«
Ryan presste entgeistert eine Hand auf seine Wunde und sank taumelnd gegen einen Ford Explorer.
Sie drehte sich um und ging mit forschen Schritten auf die parallel geparkte Wagenreihe zu, aber sie rannte nicht.
Die Klinge war so scharf, dass sie sein Hemd aufgeschlitzt hatte, ohne den Stoff zu zerfasern, so säuberlich, wie eine Rasierklinge ein Blatt Zeitungspapier durchtrennt.
Er griff mit der rechten Hand quer über seinen Oberkörper und tastete panisch die blutende Wunde ab. Sie war nicht ausgefranst, sondern ein präzise gesetzter Schnitt, etwa zehn Zentimeter lang und nicht so tief, dass sie genäht werden musste, nicht tödlich, nur ein Schnitt zur Warnung, aber doch tief genug, um erkennbare Ränder zu haben.
Als er aufblickte, sah er, dass sie, so zierlich, wie sie war, rasch durch die dichten Autoreihen verschwinden und vielleicht in einem der Wagen entkommen würde.
Der Schock hatte ihn verstummen lassen. Als er jetzt auf den Gedanken kam, um Hilfe zu rufen, gelang ihm nur ein Schnaufen.
Ryan sah sich auf dem Parkplatz nach jemand um, den er um Hilfe bitten konnte. Ein Stück weiter weg entfernten sich zwei Wagen auf der Straße, die vom Parkplatz wegführte. Er sah drei Personen, die zu Fuß unterwegs waren, aber niemanden in seiner Nähe.
Die Frau mit dem Messer verschwand zwischen den Fahrzeugen, als hätte sie sich verflüssigt und sei mit dem Funkeln der Glasscheiben verschmolzen, mit der Hitze, die vom Asphalt aufstieg.
Ryan hatte seine Stimme mittlerweile wiedergefunden, doch er fluchte nur leise, da er inzwischen Zeit gehabt hatte, sich noch einmal zu überlegen, ob er tatsächlich Aufsehen in der Öffentlichkeit erregen wollte. Sie war ohnehin fort und würde nicht mehr auffindbar sein.
Er zermalmte unabsichtlich ein paar Lilien unter seinen Schuhsohlen, als er auf das fallen gelassene Buch zuging, das er mit seiner sauberen Hand vom Boden aufhob.
Als er sein’32er Ford-Coupé erreicht hatte, tropfte Schweiß von seiner Stirn auf den Kofferraum, während er in einer Hosentasche nach seinen Schlüsseln kramte. Er war in Schweiß ausgebrochen, doch das hatte nichts mit dem warmen Wetter zu tun.
Im Kofferraum bewahrte er einen Werkzeugkasten für unterwegs anfallende Reparaturen auf. Außerdem hatte er dort unter anderem auch eine Reisedecke liegen, ein paar saubere Fensterleder, eine Rolle Papiertücher und in Flaschen abgefülltes Wasser.
Er stopfte ein Fensterleder durch den Riss in seinem Hemd und drückte es auf die Wunde. Dann presste er den Arm an seine Seite, damit das Fensterleder nicht verrutschen konnte.
Nachdem er seine blutige Hand mit Wasser aus einer der Flaschen abgewaschen hatte, faltete er die Reisedecke auseinander und drapierte sie doppellagig auf dem Fahrersitz.
Ein Chevy Tahoe kam langsam durch die Gasse zwischen den geparkten Wagen, aber Ryan hielt den Fahrer nicht an. Er wollte nur noch weg und nach Hause.
Sein Gedächtnis spielte ihm ihre Stimme vor: Ich kann Sie töten, wann ich will. Jederzeit.
Vielleicht hatte es sie so sehr erregt, ihm eine blutende Wunde zuzufügen, dass sie beschließen würde zurückzukommen und ihn jetzt gleich zu töten.
Der 427er Ford-Motor mit obenliegender Nockenwellen, der ausschließlich für Rennen gebaut worden war, hatte genug Drehmoment, um den Wagen im Leerlauf zu erschüttern. Hinter dem Motor hing ein Ford C6-Getriebe mit einem Drehmomentwandler bei 2 500 Umdrehungen.
Als er vom Parkplatz fuhr, war Ryan in Versuchung, so durch die Straßen zu rasen, als seien sie Teil einer Grand-Prix-Rennstrecke, doch er hielt sich an die ausgeschilderten Tempolimits, weil er überhaupt keine Lust hatte, sich von der Polizei an den Straßenrand winken zu lassen.
Der Wagen war kein Oldtimer, sondern komplett umgebaut, ein Hot Rod, und die Freisprechfunktion war verfügbar. Sein Handy läutete und er nahm den Anruf trotz seiner derzeitigen Gemütsverfassung automatisch entgegen. »Hallo?«
Die Frau, die ihn mit dem Messer verletzt hatte, sagte: »Haben Sie Schmerzen?«
»Was wollen Sie?«
»Hören Sie eigentlich nie zu?«
»Was wollen Sie?«
»Wie könnte ich es noch deutlicher ausdrücken?«
»Wer sind Sie?«
»Ich bin die Stimme der Lilien.«
Er sagte erbost: »Drücken Sie sich verständlich aus.«
»Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.«
»Ich sagte verständlich, nicht unverständlich. Ist Lee da? Oder Kay?«
»Die Tings?« Sie lachte leise.
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