Racheherz - Roman
peinlich war, doch dann sagte sie: »Was für eine Seite?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe es noch nicht kapiert. Aber ich habe das Gefühl, wenn ich es erst mal begreife, wenn ich diesen Teil von dir verstehe … dann werde ich wissen, warum du meinen Heiratsantrag nicht annehmen konntest.«
Sie sah ihn mit einer solchen Zärtlichkeit an, dass er fast zusammenbrach.
»Sam«, drängte er sie, »ist es möglich, dass ich mit diesem Gefühl richtigliege? Steckt in diesem Buch etwas, das mir sagen wird, was es ist, das du mehr als alles andere brauchst und das mir fehlt?«
»Ich vermute, es könnte sein. Ja, es ist so. Obwohl ich es nicht geschrieben habe, um dir etwas klarzumachen.«
»Ich verstehe.«
»Aber ich stecke zwangsläufig darin. Ganz und gar, dort unten unter dem leuchtenden Plankton.«
Die Melancholie ihres Lächelns vertiefte sich noch mehr.
Er sah sich um, weil er sich fragte, ob das kleine Drama auf dieser Bank von Passanten wahrgenommen wurde. Sam war inzwischen schon eine gewisse literarische Berühmtheit und er wollte sie nicht in Verlegenheit bringen, indem er ihr eine Szene machte.
Aber die Leute erledigten einfach ihre Einkäufe. Sie eilten nichtsahnend vorbei, Kinder kicherten über Dinge, die sich in ihren eigenen Köpfen abspielten, junge Paare schwebten Hand in Hand verliebt vorüber und nur ein irischer Setter an einer Leine musterte Ryan und Sam wachsam, als wittere er den Geruch seelischer Nöte, doch er wurde von einem Mann in khakifarbenen Shorts und Birkenstock-Sandalen weitergezogen.
»Weißt du, Sam, ich wünschte, du würdest mir einfach sagen, was es ist, das dir an mir fehlt.«
»In all der Zeit, die wir zusammen waren, habe ich es dir zu sagen versucht.«
Er zog die Stirn in Falten. »War ich derart beschränkt?«
Mit einer Spur von Bedauern sagte sie: »Es ist nichts, worüber man reden kann, wie Mundgeruch oder Tischmanieren, Ryan. Es ist nichts, was du dir über Nacht zulegen könntest,
weil du weißt, dass ich es brauche. Und nichts wäre schlimmer, als es zu heucheln, weil du glaubst, es sei erwünscht.«
»Woher hätte ich dann wissen können, was es war, das du brauchtest - durch den Subtext?«
»Ja. Durch den Subtext. Die tiefere Bedeutung dessen, wie ich mein Leben geführt und was ich empfunden habe und was mir wichtig war.«
»Da komme ich nicht mit, Sam.«
Ein Leid, das sich in ihrer Melancholie nur angedeutet hatte, brach hervor, als sie sagte: »Ich weiß, mein Liebling. Ich weiß, dass du nicht mitkommst, und es bricht mir das Herz.«
Er wagte es, die Hand auszustrecken, und sie nahm sie. Dafür war er ihr so dankbar, dass Worte nicht genügt hätten, es auszudrücken.
»Sam, wenn ich das Buch oft genug lese, um es zu kapieren, um zu verstehen, was du brauchtest und was mir gefehlt hat, und wenn ich das, was auch immer es sein mag, für dich sein kann, können wir es dann nochmal miteinander versuchen?«
Sie umklammerte seine Hand so fest, als wollte sie ihn für alle Zeiten festhalten. Dennoch sagte sie: »Es ist zu spät, Ryan. Ich wünschte, es wäre nicht so, aber es ist so.«
»Gibt es … jemand anderen?«
»Nein. Es hat auch niemanden gegeben, nicht ein einziges Rendezvous in diesem ganzen Jahr, und ich bin gut allein zurechtgekommen, ich wollte nichts anderes. Vielleicht wird es eines Tages jemanden geben. Ich weiß es nicht.«
»Aber du hast mich geliebt. Ich weiß, dass es so war. Man kann doch nicht einfach aufhören, jemanden zu lieben, von einem Tag auf den anderen.«
»Ich habe nie damit aufgehört«, sagte sie.
Diese fünf Worte, mit ihrem enormen Potenzial, ihn aufzumuntern, entmutigten ihn stattdessen, weil ihre Stimme sie mit einem leisen und doch intensiv empfundenen Kummer übermittelte, so gequält wie Ehefrauen von ihren kürzlich verstorbenen Männern sprechen, in dem Bewusstsein, dass ihre Liebe fortan unerwidert bleiben wird.
»Ich liebe dich«, sagte sie. »Aber ich kann nicht in dich verliebt sein.«
Frustriert sagte er: »Das ist Wortklauberei.«
»Nein, eben nicht. Das ist ein Unterschied.«
»Nicht groß genug, um zu zählen.«
»Alles zählt, Ryan. Alles.«
»Sag mir bitte, was ich getan habe.«
Sie sah ihn entsetzt an. »Nein. O mein Gott, nein.«
Ihre Reaktion schien in keinem Verhältnis zu seiner Frage zu stehen, die schließlich nichts weiter war als eine andere Formulierung der Frage, was sie brauchte und er nicht erkannt hatte.
Die emotionale Intensität ihrer Antwort deutete an, dass sie den
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