Rachekind: Thriller (German Edition)
Zunge schnalzen und sah hoch. Sie stand am Rand des Terrariums. Unter ihr glitzerte ein Scherbenmeer, aus dem einzelne Splitter wie winzige tödliche Eisberge herausragten.
Der Alte hob seinen Stock und holte aus, um Lilou vom Rand zu stoßen, als wischte er ein lästiges Insekt vom Tisch.
»Lilou, zurück!«, brüllte Hanna und versuchte trotz der Fesseln auf die Beine zu kommen. Der Stock sauste durch die Luft. Mit einem Schrei hievte Hanna sich auf die Knie, als der Stock mitten in der Luft zum Stehen kam. Wie aus dem Nichts stand Marten zwischen Lilou und dem Alten. Er entwand ihm den Stock und versetzte dem Rollstuhl einen heftigen Stoß. Hanna sah, wie der Alte seinen wild um sich schlagenden Sohn rammte. Linus verlor das Gleichgewicht und fiel. Er krachte mit dem Kopf gegen die Kante des Terrariums und blieb dann in dem Scherbenmeer liegen. Blut färbte den gläsernen Scheiterhaufen rot. Marten riss Lilou vom Rand herunter und brachte sie zum Aufzug. Dann rannte er zu Hanna und schleppte sie mit sich zurück zum Lift.
Die Tür schloss sich qualvoll langsam. Hanna erwartete, dass der Alte noch einen Joker aus dem Ärmel ziehen und sie stoppen würde, doch nichts geschah. Sie saß auf dem Boden der mit Aluminium ausgekleideten Kabine. Lilou stand dicht an sie gedrängt. Erst jetzt sah sie, dass Martens Gesicht totenbleich und seine Jacke voller Blut war. Aus der Innentasche ragte ein altes, zusammengerolltes Schulheft hervor.
Sie hatten es aus dieser Hölle geschafft, und doch wusste sie, dass der Albtraum noch nicht zu Ende war.
76
Die Sirene des Krankenwagens verstummte. Durch das Fenster der Rezeption sah Hanna die Blitze des Blaulichts durch die dunkle Nacht schneiden. Sie hätte Erleichterung verspüren müssen, doch selbst dazu war sie zu erschöpft. Sie humpelte zur Eingangstür und sperrte sie auf. Kurz darauf hörte sie das Getrappel von Füßen auf der Treppe. Dann standen zwei Männer und eine Frau vor ihr.
»Haben Sie uns gerufen?«
Hanna nickte und zeigte auf Marten. »Es geht ihm nicht gut.« Sie humpelte zum Lift. Marten lag zusammengekrümmt davor. Er rührte sich nicht. Die Frau kniete sich neben ihn und legte ihre Hand an seinen Hals. Dann winkte sie ihren Kollegen zu sich.
Der dritte Sanitäter kam zu ihr und musterte sie kritisch. Er tastete ihren Kopf ab.
»Sie selbst sehen auch nicht so besonders aus. Sie haben eine beachtliche Platzwunde am Hinterkopf und eine zweite über Ihrem Auge. Die müssen beide genäht werden.«
Die Lifttür bewegte sich. Hanna verfolgte aus den Augenwinkeln, wie sie sich zur Hälfte schloss, dann abrupt stehen blieb und sich wieder öffnete. Der Postkartenständer, der die Tür gestoppt hatte, wackelte kurz und lag dann wieder still.
Der Sanitäter drehte den Kopf zum Lift und richtete dann seine Augen auf sie. Die Frage stand unausgesprochen in seinem Gesicht.
»Im Keller ist noch einer. Zwei. Der Hotelbesitzer und sein Sohn. Der Sohn ist auch verletzt.«
Der Mann trat zu dem Postkartenständer und hob ihn auf. »Warum blockieren Sie den Lift?«
»Sie haben versucht uns zu töten.« Hanna registrierte den zweifelnden Blick. »Glauben Sie, wir haben uns zum Spaß so zugerichtet?«, fragte sie aufgebracht. Lilou schreckte auf und verzog ihren Mund zum Weinen. Hanna legte ihr beruhigend die Hand auf den Kopf.
Der Mann wiegelte ab. »Ist ja gut. Ich darf mich doch wohl wundern. Es ist eher ungewöhnlich, dass Hotelbesitzer ihre Gäste angreifen.«
»Sie haben meinen Mann umgebracht.«
Der Sanitäter warf einen Blick zu Marten. »Ihr Mann lebt.«
»Das ist nicht mein Mann.« Hanna kniff ihre Augen zusammen, um die Tränen zurückzudrängen, die plötzlich wie eine Flutwelle in ihr hochschwappten. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie nicht den geringsten Beweis hatte.
Solange sie nicht wusste, wo Tom begraben war, stünde es Aussage gegen Aussage, und nach ihrem Auftritt im Krankenhaus wusste sie jetzt schon, wer gewinnen würde. »Mein Mann liegt irgendwo im Wald vergraben.«
Wieder erntete sie einen skeptischen Blick. Die Lifttüren öffneten sich. Der Sanitäter sprang hinein.
»Passen Sie auf, dort unten laufen Dutzende Vogelspinnen frei herum«, rief Hanna ihm hinterher, doch sein Blick verriet ihr, dass er auch an dieser Aussage zweifelte.
Freitag, 30. September
77
Die Tür zum Krankenzimmer flog auf. Hanna ließ das Schulheft auf ihr Bett sinken, als das Knirschen von Rädern auf dem PVC ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Trotz
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