Racheklingen
Krieg gegen die Gurkhisen zu gewinnen. Wir beide erfreuen uns der Unterstützung des Bankhauses Valint und Balk. Einmal ganz davon abgesehen, dass der König der Union Orsos Schwiegersohn ist. Natürlich schicken wir Spitzel ins Land des jeweils anderen, aber auf eine nachbarliche, manierliche Art. Wenn man schon eine Spionin hinnehmen muss, dann doch wenigstens eine charmante, und Eider war zweifelsohne sehr charmant. Sie war mit Prinz Ario in Sipani. Nach seinem Tod verschwand sie. Dann kam der Brief.«
»Und was stand darin?«
»Dass sie durch einen Giftanschlag dazu erpresst wurde, Prinz Arios Mördern zu helfen. Dass sich in ihren Reihen ein gewisser Nicomo Cosca befindet und eine Folterspezialistin namens Schylo Vitari und dass diese beiden von niemand anderem als Murcatto selbst angeführt würden. Die höchst lebendig sei.«
»Glauben Sie das?«
»Eider hatte keinen Grund, uns anzulügen. Kein Brief wird sie vor dem Zorn Seiner Exzellenz bewahren, wenn sie ergriffen wird, und das weiß sie sicherlich auch. Murcatto lebte, als sie vom Balkon geworfen wurde, davon bin ich überzeugt. Ich habe niemals ihre Leiche gesehen.«
»Sie verlangt nach Rache.«
Ganmark stieß ein freudloses Lachen aus. »Wir leben in den Blutigen Jahren. Jeder verlangt nach Rache. Aber die Schlange von Talins? Die Schlächterin von Caprile? Die in der ganzen Welt nichts so sehr liebte wie ihren Bruder? Wenn sie noch lebt, dann brennt sie vor Rachedurst. Ein Mann könnte sich kaum eine entschlossenere Feindin vorstellen.«
»Dann sollte ich diese Vitari, diesen Cosca und die Schlange Murcatto aufspüren.«
»Niemand darf erfahren, dass sie noch am Leben sein könnte. Würde es in Talins bekannt, dass Orso ihren Tod geplant hat … dann könnte es zu Unruhen kommen. Sogar zu einer Rebellion. Das Volk hat sie sehr geliebt. Sie war ein Talisman. Ein Maskottchen. Eine der ihren, die sich durch ihre Verdienste nach oben gearbeitet hatte. Da sich die Kriege weiter hinziehen und die Steuern steigen, ist Seine Exzellenz … nun ja, er ist nicht mehr so beliebt, wie er sein könnte. Ich kann auf Ihr Schweigen vertrauen?«
Schenkt schwieg.
»Gut. Es gibt noch alte Verbündete Murcattos in Talins. Vielleicht weiß einer von ihnen, wo sie ist.« Der General sah auf, und das orangefarbene Licht des Feuers ergoss sich über eine Seite seines müden Gesichts. »Aber was sage ich da? Es ist Ihr Geschäft, Menschen aufzustöbern. Menschen zu finden und sie zu …« Er stocherte wieder in der Glut und wirbelte einen kleinen Funkenregen auf. »Ich muss Ihnen ja nicht Ihre Arbeit erklären, nicht wahr?«
Schenkt steckte die halbfertige Schnitzarbeit und sein Messer wieder weg und wandte sich zum Gehen. »Nein.«
NACH UNTEN
Sie erreichten Visserine, als die Sonne hinter den Bäumen verschwand und das Land in Schwärze tauchte. Die Türme konnte man selbst aus vielen Meilen Entfernung sehen. Es waren Dutzende. Vielleicht sogar noch mehr. Hoch und schlank wie Frauenfinger ragten sie in den bewölkten, blaugrauen Himmel, und kleine Lichtpünktchen glühten dort, wo Lampen in den hohen Fenstern brannten.
»Ziemlich viele Türme«, murmelte Espe vor sich hin.
»In Visserine waren sie immer sehr in Mode.« Cosca grinste ihn von der Seite an. »Manche gehen zurück bis zum Neuen Kaiserreich und sind Hunderte von Jahren alt. Die größten Familien wetteifern miteinander, die jeweils höchsten zu bauen. Es ist eine Frage des Stolzes. Als ich noch ein Kind war, ist einmal einer von ihnen eingestürzt, bevor er fertig war, keine drei Straßen von dort, wo ich lebte. Ein Dutzend Häuser armer Menschen wurde dabei zerstört. Es sind immer die Armen, die vom Ehrgeiz der Reichen zermalmt werden. Aber sie beschweren sich kaum, weil sie, nun …«
»Weil sie davon träumen, selbst einmal einen Turm zu bauen?«
Cosca gluckste leise. »Nun ja, ich denke schon. Aber eines sehen sie dabei nicht: Je höher man hinaufklettert, desto tiefer ist später der Fall.«
»Die Menschen sehen das meist erst, wenn der Boden bereits auf sie zukommt.«
»Das ist leider wahr. Und ich fürchte, viele der Reichen von Visserine werden bald fallen …«
Freundlich entzündete eine Fackel, Vitari ebenfalls, und Day steckte eine dritte an die Vorderseite des Karrens, um den Weg zu beleuchten. Überall um sie herum flammten Fackeln auf, bis die Straße sich in einen Strom winziger Lichter verwandelt hatte, der sich im Dunkeln schimmernd über das dunkle Land zum Meer bewegte. Zu
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