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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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zum Tor. Nicht zu schnell. Aufmerksam und bereit für den Fall, dass jemand so dumm sein sollte, ihn auf die Probe stellen zu wollen. Aber er war erst ein paar Schritte weit gekommen, da hatten sich die Umstehenden schon wieder aufs Rufen verlegt, beteuerten, dass sie etwas Besonderes waren und dass gerade sie eingelassen werden müssten, während man den Rest den Wölfen überlassen konnte. Angesichts der Lage war ein Mann, dem man die Vorderzähne eingeschlagen hatte, keine große Sache. Jene, die noch nichts Schlimmeres gesehen hatten, gingen davon aus, dass sie es schon bald tun würden, und sie waren vor allem bestrebt, jetzt selbst nichts abzubekommen. Er folgte den anderen, blies kühlend auf seine abgeschürften Knöchel, ritt durch das Tor und in die Dunkelheit des Durchgangs, der dahinter lag.
    Espe versuchte sich daran zu erinnern, was ihm der Hundsmann erzählt hatte, damals in Adua. Es schien hundert Jahre her zu sein. Irgendwas davon, dass Blut nur noch mehr Blut heraufbeschwöre und dass es nie zu spät sei, es besser zu machen. Nicht zu spät, ein guter Mensch zu werden. Rudd Dreibaum war ein guter Mann gewesen, da hatte es keinen besseren gegeben. Sein ganzes Leben lang hatte er sich an die alten Bräuche gehalten und nie den leichteren Weg gewählt, wenn er ihn für den falschen gehalten hatte. Espe war stolz, dass er neben diesem Mann gekämpft und ihn Häuptling genannt hatte, aber was hatte Dreibaum seine Ehrenhaftigkeit am Ende eingebracht? Dass man später am Feuer mit feuchten Augen ein paar Mal seinen Namen nannte. Das, ein hartes Leben und ein Loch im Schlamm. Der Schwarze Dow war ein kalter Drecksack gewesen, wie Espe keinen anderen erlebt hatte. Ein Mann, der nie einem Feind offen entgegentrat, wenn er ihn von hinten erledigen konnte, der Dörfer ohne Reue niederbrannte, seine eigenen Eide brach und auf die Folgen spuckte. Ein Mann, so gnädig wie die Pest und mit einem Gewissen von der Größe einer Sackratte. Jetzt saß er auf Skarlings Thron, und die eine Hälfte des Nordens lag ihm zu Füßen, während die andere sich fürchtete, seinen Namen auszusprechen.
    Hinter dem Torweg gelangten sie in die Stadt. Wasser plätscherte aus schadhaften Gossen auf abgestoßene Pflastersteine. Eine nasse Prozession von Männern, Frauen, Maultieren und Wagen wartete darauf, aus der Stadt gelassen zu werden, und sah ihnen zu, als sie ihnen entgegenkamen. Espe legte den Kopf in den Nacken, die Augen wegen des Regens leicht zusammengekniffen, als sie an einem großen Turm vorbeikamen, der hoch in die schwarze Nacht ragte. Er war sicher dreimal höher als das höchste Gebäude in Carleon, und er war nicht einmal der größte in diesem Viertel.
    Er sah von der Seite zu Monza hinüber, auf jene Art, die er inzwischen so gut beherrschte. Sie blickte finster drein wie meistens, die Augen gerade nach vorn gerichtet, und das Licht der Fackeln, die an ihnen vorüberwanderten, zuckte über ihre harten Züge. Sie hatte einen Entschluss gefasst und tat nun alles, um ihr Ziel zu erreichen. Scheiß auf Gewissen und Folgen. Erst kam die Rache, dann war Zeit für Fragen.
    Er fuhr sich mit der Zunge durch den Mund und spuckte aus. Je mehr er hier sah, desto mehr erkannte er, dass sie Recht hatte. Erbarmen und Feigheit waren dasselbe. Niemand belohnt dich für gutes Betragen. Hier nicht, und im Norden auch nicht, nirgendwo. Wenn man etwas haben will, dann muss man es sich nehmen, und derjenige, der am meisten an sich raffen kann, hat den meisten Einfluss. Vielleicht wäre es schön gewesen, wenn das Leben anders gewesen wäre.
    Aber es war nun einmal nicht so.
     
    Monza fühlte sich steif und zerschlagen, wie immer. Sie war zornig und müde, auch wie immer. Sie brauchte einen Zug Spreu, mehr denn je. Und um diesem Abend noch ein wenig mehr Würze zu verleihen, war sie inzwischen auch noch nass, kalt und wundgeritten.
    In ihrer Erinnerung war Visserine eine schöne Stadt voll funkelndem Glas und eleganter Gebäude, gutem Essen, Lachen und Freiheit. Bei ihrem letzten Besuch war sie besonders guter Stimmung gewesen. Sie hatten Sommer gehabt und keinen kühlen Frühlingstag, und außer Benna war niemand da gewesen, der erwartete, dass sie irgendwelche Dinge regelte. Und es hatte noch keine vier Männer gegeben, die sie töten musste.
    Aber auch davon abgesehen war die Stadt längst nicht mehr der freundliche Lustgarten ihrer Erinnerung.
    Dort, wo Lampen brannten, waren die Fensterläden fest geschlossen, und das Licht drang

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