Racheklingen
steile Kurve hinan. Vor ihnen ragten die äußeren Mauern der Zitadelle von Fontezarmo auf. Eine schmale Brücke führte über eine schwindelerregende Schlucht zum Torhaus, und darunter schoss funkelnd Wasser in die Tiefe. Auf der anderen Seite der Brücke gähnte ein Durchgang, der so einladend wirkte wie ein Grab.
»Sie haben die Mauern seit letztem Jahr verstärkt«, murmelte Benna. »Es wäre sicher kein Spaß, diese Festung zu stürmen.«
»Jetzt tu mal nicht so, als hättest du den Mut, eine Leiter hier anzulegen und hinaufzuklettern.«
»Es wäre sicher kein Spaß, anderen zu befehlen, diese Festung zu stürmen.«
»Nein.« Sie lehnte sich vorsichtig ein wenig aus dem Sattel und sah in die gähnende Tiefe zu ihrer Linken. Dann blickte sie die steile Felswand hinauf, die sich zu ihrer Rechten erhob und deren Zinnen sich wie eine schwarze Kante gegen den sich aufhellenden Himmel abhoben. »Es macht fast den Anschein, als hätte Orso Angst, jemand wolle ihn töten.«
»Hat er etwa Feinde?«, hauchte Benna, der vor spöttischer Überraschung runde Augen machte.
»Nur die Hälfte Styriens.«
»Dann … haben wir demnach auch Feinde?«
»Mehr als die Hälfte Styriens.«
»Aber ich habe mich so bemüht, beliebt zu sein.« Sie trotteten an zwei säuerlich dreinblickenden Soldaten vorbei, deren Speere und Stahlhelme so strahlend poliert waren, dass sie mörderisch blitzten. Der Hufschlag hallte in der Dunkelheit des langen, allmählich aufwärtsführenden Tunnels wider.
»Jetzt hast du wieder diesen Gesichtsausdruck.«
»Welchen?«
»Als ob es heute nichts mehr zu lachen gäbe.«
»Hm.« Sie spürte selbst, dass sich die vertraut finstere Miene über ihre Züge legte. »Du kannst es dir leisten zu lächeln. Du bist der Gute.«
Hinter den Toren lag eine ganz andere Welt. Die Luft war schwer von Lavendel, und nach den grauen Berghängen war hier nun alles grün. Es war eine Welt von gepflegten Rasenflächen, von Hecken, die man mit der Schere in die wunderbarsten Formen gezwungen hatte, von Springbrunnen, die schimmernde Gischt in die Höhe schickten. Die grimmigen Wächter an jeder Türöffnung, auf deren weiße Wappenröcke das schwarze Kreuz von Talins gestickt war, verdarben jedoch die Stimmung.
»Monza …«
»Ja?«
»Lass es das letzte Jahr auf Kriegszug gewesen sein«, bettelte Benna. »Der letzte Sommer im Staub. Lass uns danach etwas Bequemeres finden, das wir tun können. Jetzt, solange wir noch jung sind.«
»Was ist mit den Tausend Klingen? Es sind immerhin schon fast zehntausend, und sie alle warten darauf, dass wir ihnen Befehle geben.«
»Die können sie doch auch von jemand anderem bekommen. Sie sind aus Lust am Plündern zu uns gestoßen, und wir haben ihnen reichlich Beute verschafft. Treu sind sie ohnehin nur ihren eigenen Taschen gegenüber.«
Sie musste zugeben, dass die Tausend Klingen sicher nie die besten Menschen, nicht einmal die besten Söldner in ihren Reihen gehabt hatten. Die meisten von ihnen standen nur eine Stufe über gemeinen Verbrechern. Die meisten der Übrigen eine Stufe darunter. Aber darum ging es nicht. »Du musst an irgendetwas in deinem Leben festhalten«, knurrte sie.
»Ich wüsste nicht, warum.«
»Das ist wieder typisch für dich. Noch ein weiterer Kriegszug, und Visserine wird fallen, Rogont wird sich ergeben, und der Achterbund wird nur noch eine böse Erinnerung sein. Orso kann sich zum König Styriens krönen lassen, und wir werden uns in Luft auflösen und vergessen sein.«
»Wir verdienen es, dass man sich an uns erinnert. Wir könnten eine eigene Stadt haben. Du könntest die edle Herzogin Monzcarro von … wo auch immer sein …«
»Und du der furchtlose Herzog Benna?« Sie lachte über diesen Gedanken. »Du blöder Arsch. Ohne meine Hilfe hast du kaum unsere Gedärme im Griff. Krieg ist schon ein dreckiges Geschäft, aber vor Politik scheue selbst ich zurück. Wenn Orso gekrönt wird, ziehen wir uns zurück.«
Benna seufzte. »Ich dachte, wir sind Söldner? Cosca hat nie so treu zu einem Dienstherrn gehalten.«
»Ich bin nicht Cosca. Und es ist auch nicht weise, dem Herrn von Talins eine Abfuhr zu geben.«
»Du kämpfst einfach zu gern.«
»Nein. Ich siege gern. Nur noch ein Kriegszug, und dann können wir die Welt bereisen. Das Alte Kaiserreich besuchen. Zu den Tausendinseln fahren. Nach Adua segeln und im Schatten des Hauses des Schöpfers stehen. Alles tun, wovon wir immer geredet haben.« Benna schmollte, wie immer, wenn er nicht
Weitere Kostenlose Bücher