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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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einer anderen Zeit hätte es ein hübsches Bild abgegeben, aber nicht jetzt. Der Krieg zog heran, und es war niemand in guter Stimmung.
    Je näher sie der Stadt kamen, desto mehr Menschen drängten sich auf der Straße und desto mehr Müll türmte sich daneben. Die eine Hälfte der Leute schien unbedingt nach Visserine hineinzuwollen, um sich hinter ein paar Stadtmauern verstecken zu können, und die andere Hälfte war bestrebt, herauszukommen und über das offene Land zu fliehen. Den Bauern ließ der nahende Krieg eine erbärmliche Wahl. Wer auf seiner Scholle blieb, riskierte mit großer Wahrscheinlichkeit Brand und Raub, vermutlich auch Vergewaltigung und Tod. Wer versuchte, sich bis zur Stadt durchzuschlagen, und darauf vertraute, dort Platz zu finden, riskierte es, von seinen Beschützern ausgeraubt zu werden oder, wenn die Stadt schließlich fiel, den Eroberern in die Hände zu fallen. Man konnte sich höchstens noch in den Bergen verstecken, vielleicht erwischt werden, vielleicht auch verhungern oder in einer eisigen Nacht einfach erfrieren.
    Der Krieg tötete ein paar Soldaten, das stimmte, aber den übrigen schenkte er Geld, neue Triumphlieder und ein Feuer, um das man sich scharen konnte. Er tötete viel mehr Bauern und schenkte denen, die übrig blieben, nichts als tote Asche.
    Wie um die Stimmung noch weiter zu heben, fing es an zu regnen. Kalte Tropfen zischten und fauchten auf den flackernden Fackeln und fuhren wie weiße Streifen durch den Lichtschein rund um die kleinen Brände. Die Straße verwandelte sich in zähen Schlamm. Espe fühlte die Nässe auf seiner Kopfhaut, aber seine Gedanken waren weit weg. Sie weilten an jenem Ort, wo sie sich die letzten Wochen so oft aufgehalten hatten. Bei Cardotti und den dunklen Taten, die er dort verrichtet hatte.
    Sein Bruder hatte ihm stets gesagt, eine Frau zu töten, das sei das Niederste, was ein Mann überhaupt tun konnte. Achtung vor Frauen und Kindern, die Wahrung der alten Grundsätze und die Treue zum eigenen Wort, das war es, was die Menschen von den Tieren unterschied und Carls von Meuchelmördern. Er hatte es nicht tun wollen, aber wenn man in einer Menschenmenge eine Klinge schwingt, dann kann man sich der Verantwortung für die Geschehnisse nicht entziehen. Der gute Mensch, der er hier hatte werden wollen, hätte sich die Nägel bis aufs Blut heruntergekaut angesichts dessen, was er getan hatte. Aber wenn er daran dachte, wie sein Schwert ein großes Stück aus ihrem Brustkorb riss, an den hohlen Klang dabei und an ihren leeren Blick, als sie sterbend an der Wand hinabglitt, dann war in seinem Kopf nur Erleichterung darüber, dass er davongekommen war.
    Wenn man unabsichtlich eine Frau in einem Hurenhaus tötete, war das Mord, und es war sicher schlimm, aber wenn man einen Mann in einer Schlacht umbrachte, dann war das auf einmal eine edle Tat? Etwas, worauf man stolz sein konnte und worüber man Lieder sang? Es hatte eine Zeit gegeben, an den Feuern oben im kalten Norden, da diese Beurteilung ganz einfach und offensichtlich erschienen war. Aber Espe sah den Unterschied längst nicht mehr so deutlich wie früher. Und es war nicht so, als sei er nun plötzlich verwirrt. Ihm war auf einmal alles klar. Wenn man einmal damit begonnen hat, Menschen zu töten, dann spielt es keine Rolle mehr, aus welchen Beweggründen man es tut.
    »Du siehst aus, als gingen dir dunkle Gedanken durch den Kopf, mein Freund«, sagte Cosca.
    »Ist wohl nicht die richtige Zeit für Witze.«
    Der Söldner lachte leise. »Mein alter Mentor Sazine hat mir einmal gesagt, man solle in jedem Augenblick des Lebens lachen können, weil es mit dem Lachen nämlich ziemlich schwierig wird, wenn das Leben einmal vorbei ist.«
    »Tatsächlich? Was ist aus ihm geworden?«
    »Ist an Wundbrand in der Schulter gestorben.«
    »Ziemlich schlechter Witz.«
    »Tja, wenn das Leben ein Witz ist«, überlegte Cosca, »dann ein ziemlich makabrer.«
    »Dann lacht man besser gar nicht, damit man sich nicht selbst lächerlich macht.«
    »Oder man stimmt seinen Humor darauf ab.«
    »Man muss schon einen ziemlich kranken Humor haben, um über das hier lachen zu können.«
    Cosca kratzte sich am Hals, während er zu den Mauern von Visserine hinübersah, die schwarz im stärker werdenden Regen vor ihnen aufragten. »Ich muss zugeben, dass es auch mir schwerfällt, dieser Lage etwas Lustiges abzugewinnen.«
    An den Lichtern war bereits zu erkennen, dass es vor dem Tor ein hässliches Gedränge gab, und der

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