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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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weiter nichts getan, als zur Welt zu kommen.« Seine Stimme klang hohl, aller Zorn war aus ihr gewichen. »Als ich hörte, dass er tot war, hätte ich am liebsten gelacht, aber ich weinte, weil alle anderen es auch taten. Ich schwor, seinen Mord zu rächen und den ganzen anderen Kram, weil, na ja, es gibt nun einmal gewisse Grundsätze, an die man sich halten muss, nicht wahr? Ich wollte ja nicht von den anderen verachtet werden. Aber als ich hörte, dass der Blutige Neuner den Kopf von meinem Arschloch-Bruder an eine Standarte genagelt hatte, wusste ich nicht, ob ich den Mann deswegen hassen sollte, weil er das getan hatte, oder dafür, dass er mir selbst diese Möglichkeit geraubt hatte – oder ob ich ihn für den Gefallen, den er mir erwies, hätte küssen sollen, wie man … wie man einen Bruder küsst …«
    Erst wollte sie aufstehen, zu ihm hinübergehen und ihm die Hand auf die Schulter legen. Dann wanderte sein eines Auge zu ihr herüber, kalt und schmal. »Aber darüber weißt du ja gut Bescheid, nehme ich an. Darüber, wie man einen Bruder küsst.«
    Plötzlich pochte das Blut wieder hinter ihren Augen, schlimmer denn je. »Was mein Bruder für mich war, geht verdammt noch mal nur mich was an!« Sie merkte, dass sie mit dem Messer in seine Richtung fuchtelte, und schleuderte es über den Tisch. »Ich habe nicht die Angewohnheit, mich zu erklären! Und ich habe nicht die Absicht, gegenüber Männern, die ich bezahle, damit anzufangen!«
    »Das bin ich also für dich, ja?«
    »Was sonst solltest du denn wohl sein?«
    »Nach allem, was ich für dich getan habe? Was ich verloren habe?«
    Sie zuckte zurück und ihre Hände zitterten schlimmer denn je. »Du wirst doch wohl gut bezahlt, oder nicht?«
    »Bezahlt?« Er beugte sich zu ihr hinüber und deutete auf sein Gesicht. »Was ist mein Auge wohl wert, du blöde Fotze?«
    Sie stieß ein ersticktes Knurren aus, schoss von dem Stuhl empor, auf dem sie gesessen hatte, riss die Lampe an sich, wandte ihm den Rücken zu und ging auf die Balkontür zu.
    »Wo gehst du hin?« Seine Stimme wurde plötzlich flehend, als wüsste er, dass er zu weit gegangen war.
    »Weg von deinem Selbstmitleid, Drecksack, bevor mir übel wird!« Sie riss die Tür auf und trat in die kalte Luft.
    »Monza …« Er saß zusammengesunken auf dem Bett, ein endlos trauriger Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Jedenfalls auf der Hälfte, die sich noch bewegen ließ. Zerstört. Ohne Hoffnung. Verzweifelt. Das künstliche Auge sah zur Seite. Er sah aus, als wolle er gleich weinen, zu Boden sinken, um Vergebung betteln.
    Sie schlug die Tür zu. Es passte ihr gut, eine Entschuldigung zu haben. Es war besser, sich für kurze Zeit schlecht zu fühlen, weil sie sich von ihm abgewandt hatte, als sich mit dem ewig bleibenden Schuldgefühl herumzuschlagen, das sie empfand, wenn sie ihn ansah. Das war viel, viel besser.
    Die Aussicht von dem Balkon war möglicherweise eine der atemberaubendsten auf der ganzen Welt. Ospria fiel in kühnem Schwung unter ihr ab, ein verrückter Irrgarten aus streifigen Kupferdächern. Jede in den Fels hineingeschlagene Terrasse war mit einer eigenen zinnenbewehrten und wachtturmgeschmückten Stadtmauer umgeben. Hohe Gebäude aus altem blassem Stein drängten sich eng dahinter zusammen, mit schmalen Fenstern und mit schwarzem Marmor verziert, reihten sich an steil ansteigende Straßen, gewundene Gässchen mit Tausenden von Stufen, tief und dunkel wie die Schluchten eines Bergbachs. Ein paar frühe Lichter leuchteten aus einigen Fenstern, die flackernden Pünktchen der Wächterfackeln bewegten sich auf den Stadtmauern. Dahinter erstreckte sich das Tal der Sulva tief im Schatten der Berge, und der Fluss war nur als schwacher Schimmer an seinem Grund zu erkennen. Auf der Kuppe des höchsten Hügels auf der anderen Seite waren vor dem tiefen Samt des Himmels die Lagerfeuer der Tausend Klingen klein wie Stecknadelköpfchen zu erahnen.
    Es war kein Ort für jemanden, der an Höhenangst litt.
    Aber Monza beschäftigten ohnehin andere Dinge. Jetzt war es nur noch wichtig, dafür zu sorgen, dass nichts mehr wichtig war, und zwar so schnell wie möglich. Sie drückte sich, so tief es ging, in eine Ecke, begierig über die Lampe und Pfeife gebeugt, wie ein frierender Mann über eine kleine Feuerzunge. Sie packte das Mundstück mit den Zähnen, hob das klappernde Glas der Lampe ein wenig an, beugte sich vor …
    Ein plötzlicher Wind kam auf, fegte in die Ecke, wirbelte ihr das fettige Haar

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