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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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hinaufgeritten war. Und der sie noch immer brauchte, damit sie sich um ihn kümmerte. Sie wusste, welche Farbe seine Augen gehabt hatten. Sie wusste, dass er vom vielen Lächeln kleine Fältchen in den Augenwinkeln gehabt hatte. Aber sie konnte sein Lächeln nicht mehr heraufbeschwören.
    Die Gesichter, die sich ihr stattdessen in allen blutigen Einzelheiten aufdrängten, waren die fünf Männer, die sie umgebracht hatte. Gobba, der mit den blutigen, zerschlagenen Händen an Freundlichs Garotte zerrte. Mauthis, der wie eine Puppe mit zuckenden Gliedern auf dem Boden lag und rosafarbenen Schaum hervorgurgelte. Ario, die Hand an den Hals gepresst, während das schwarze Blut darunter hervorquoll. Ganmark, der sie angrinste, von hinten mit Stolicus’ überdimensionalem Schwert durchbohrt. Der Getreue, ertrunken und tropfnass, wie er vom Mühlrad hing, nicht schlechter als sie.
    Die Gesichter der fünf Männer, die sie getötet hatte, und die Gesichter der zwei, die noch lebten. Der stets so bemühte kleine Foscar, selbst kaum erwachsen. Und Orso natürlich. Großherzog Orso, der sie wie eine Tochter geliebt hatte.
    Monza, Monza, was täte ich nur ohne dich …
    Sie schlug die Decken zurück und schwang die verschwitzten Beine aus dem Bett, zog sich ihre Hosen an, zitterte, obwohl es zu warm war, und ihr Kopf dröhnte vom Wein, dessen Wirkung nun allmählich verging.
    »Was machst du da?«, ertönte Espes raue Stimme.
    »Brauch was zu rauchen.« Ihre Finger zitterten so stark, dass sie kaum die Lampe heller drehen konnte.
    »Vielleicht solltest du mal weniger rauchen, schon mal dran gedacht?«
    »Klar.« Sie zog den Klumpen Spreu hervor und verzog gequält das Gesicht, als sie die zerstörten Finger bewegte. »Hab mich aber dagegen entschieden.«
    »Es ist mitten in der Nacht.«
    »Dann schlaf doch weiter.«
    »Verdammte scheiß Sucht.« Er hatte sich auf der anderen Seite des Bettes aufgesetzt, drehte ihr den breiten Rücken zu und wandte den Kopf, bis er sie aus dem Winkel seines gesunden Auges finster ansehen konnte.
    »Du hast recht. Vielleicht sollte ich auch damit anfangen, Dienern die Zähne auszuschlagen.« Sie nahm ihr Messer und schabte, Staub und Krümel verstreuend, Spreu in den Pfeifenkopf. »Rogont war nicht gerade begeistert, das kann ich dir sagen.«
    »Es ist noch gar nicht so lange her, da warst du von ihm auch nicht gerade begeistert, wenn ich mich recht erinnere. Offenbar änderst du deine Meinung über andere Leute schnell – je nachdem, woher der Wind gerade weht, nicht wahr??«
    Ihr platzte beinahe der Kopf. Sie spürte nicht den geringsten Wunsch, mit ihm zu reden, schon gar nicht, mit ihm zu streiten. Aber gerade in solchen Augenblicken fallen Menschen am heftigsten übereinander her. »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragte sie kurz angebunden, obwohl sie die Antwort genau kannte und gar nichts davon hören wollte.
    »Was glaubst du denn?«
    »Weißt du was, ich hab meine eigenen Sorgen.«
    »Du verlässt mich, das ist es doch!«
    Sie hätte die Gelegenheit beim Schopf packen sollen. »Ich, dich verlassen?«
    »Heute Abend! Hast mich in der Scheiße sitzen lassen und oben am Fürstentisch mit dem großen Zauderer herumpoussiert!«
    »Glaubst du, ich hätte bei der
Tischordnung
etwas zu sagen gehabt?«, fragte sie verächtlich. »Er hat mich an den Tisch geholt, damit er besser aussieht, das ist alles.«
    Es folgte eine Pause. Er wandte den Kopf von ihr ab, ließ die Schultern hängen. »Tja. Wenn’s ums Aussehen geht, bin ich in diesen Tagen wohl wirklich keine große Hilfe.«
    Sie zuckte zusammen, peinlich berührt, verärgert. »Rogont kann mir helfen. Das ist alles. Foscar ist da draußen bei Orsos Heer. Foscar ist da draußen …« Und er musste sterben, egal, was es kostete.
    »Rache, was?«
    »Sie haben meinen Bruder umgebracht. Das muss ich dir doch nicht erklären. Du weißt doch, was ich empfinde.«
    »Nein. Tu ich nicht.«
    Sie runzelte die Stirn. »Was ist mit deinem Bruder? Du hast doch gesagt, der Blutige Neuner hätte ihn umgebracht? Ich dachte …«
    »Ich habe meinen verdammten Bruder gehasst. Die Leute haben alle gesagt, er sei der wiederauferstandene Skarling, aber der Kerl war ein Arschloch. Er zeigte mir, wie man auf Bäume klettert, wie man angelt, fasste mir unters Kinn und lachte, wenn unser Vater dabei war. Wenn der uns den Rücken kehrte, hat er mich getreten, bis ich keine Luft mehr bekam. Er sagte, ich hätte unsere Mutter umgebracht. Ich hatte

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