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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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staubigen Boden. Ganze Wagenladungen voller Leichen. Manche bedauerte sie nicht, einige schon. Aber es war nichts dabei, worüber sie hätte jubeln mögen. Sie sah gequält zu den glücklichen Gesichtern in den Fenstern hinauf. Vielleicht war eben das der Unterschied, der zwischen ihr und diesen Leuten bestand.
    Vielleicht mochten sie Leichen, solange es nicht ihre eigenen waren.
    Über die Schulter sah sie zu ihren sogenannten Verbündeten, aber auch dieser Anblick war nicht angetan, ihre Stimmung zu heben. Großherzog Rogont, der auf die Krönung zum König wartete, der Menge aus einem Knäuel aufmerksamer Leibwächter zulächelnd, ein Mann, dessen Liebe genau so lange währen würde, wie Monza ihm nützlich war. Espe mit seinem schimmernden Stahlauge, ein Mann, der sich unter ihrer liebevollen Berührung von einem liebenswerten Optimisten in einen verstümmelten Mörder verwandelt hatte. Cosca winkte zurück – der unzuverlässigste Verbündete und der unberechenbarste Feind der Welt, und was von beidem er für sie sein würde, das wusste sie immer noch nicht. Freundlich … wer ahnte schon, was sich hinter diesen toten Augen verbarg?
    Weiter hinten ritten die anderen überlebenden Anführer des Achterbunds. Oder Neunerbunds. Lirozio von Puranti mit prächtig gesträubtem Schnurrbart, der nach einem winzigen Augenblick, den er zu Orso gehalten hatte, wieselflink wieder in Rogonts Lager gewechselt war. Gräfin Cotarda, wie immer gut bewacht von ihrem Onkel, der sich ganz in ihrer Nähe hielt. Patine, der Erste Bürger von Nicante, mit seiner kaiserlichen Attitüde und der zerlumpten Bettlerkleidung, der zwar dankend abgelehnt hatte, als es darum ging, sich an der Schlacht an den Furten zu beteiligen, der aber nur zu gern bei der Siegesfeier dabei war. Sogar Städte, die Monza auf Orsos Betreiben hin geplündert hatte, hatten Vertreter geschickt – Bürger von Musselia und Etrea, eine Nichte von Herzog Cantain mit schlauem Blick, die unerwartet Herzogin von Borletta geworden und ganz offenbar nicht unzufrieden mit der Wendung der Ereignisse war.
    Menschen, die sie schon so lange für ihre Feinde hielt, dass es ihr schwerfiel, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Den anderen ging es, nach ihren Gesichtern zu urteilen, genauso. Sie war die Spinne, die sie in ihrer Speisekammer ertragen mussten, damit es dort keine Fliegen gab. Aber wenn die Fliegen einmal alle tot sind, wer will dann schon eine Spinne im Salat?
    Sie wandte sich um, die schweißnassen Schultern prickelten, und sie versuchte, den Blick nach vorn zu richten. Die Parade zog die endlose Hafenbucht entlang, die Möwen segelten, kreisten, stießen Schreie aus. Die ganze Zeit über hatte sie den verdorbenen Salzgeruch von Talins in der Nase. Vorbei an den Werften; die halbfertigen Rümpfe zweier großer Kriegsschiffe lagen auf ihren Rollen wie die Skelette zweier an den Strand getriebener Wale. Vorbei an den Reepschlägern und Segelmachern, den Holzlagern und Drechslern, den Blechschmieden und Kettenmachern. Vorbei an dem riesigen, stinkenden Fischmarkt, dessen abblätternde Verkaufsbuden leer, die Gänge still waren – vermutlich zum ersten Mal, seit die Menschen zuletzt nach dem Sieg von Föhrengrund auf die Straßen geströmt und wild und fröhlich gefeiert hatten.
    Hinter den vielfarbigen menschlichen Flecken waren die Gebäude mit Plakaten übersät, wie es in Talins seit der Erfindung der Druckerpressen gang und gäbe war. Alte Siege, Warnungen, Hetzkampagnen, patriotisches Gedöns – eins wurde immer wieder über das andere geklebt. Auf den neuesten Bogen war das Gesicht einer Frau zu sehen, streng, skrupellos, von kalter Schönheit. Monza drehte sich der Magen um, als sie erkannte, dass sie das sein sollte. Unter dem Bild standen in großen Buchstaben die Worte
Kraft, Mut, Ruhm.
Orso hatte ihr einmal gesagt, wenn man eine Lüge in die Wahrheit verwandeln wollte, dann musste man sie nur laut genug herausschreien. Und hier sah sie ihr selbstgerechtes Gesicht, wieder und wieder ausgefranst und eselsohrig auf die salzfleckigen Wände geklebt. An der Seite der nächsten bröckelnden Fassade fanden sich andere Plakate, schlecht gezeichnet und verschwommen gedruckt, auf denen sie ungelenk den Degen in die Höhe reckte, während die Zeile darunter verkündete:
Niemals aufgeben, niemals zurückweichen, niemals vergeben.
Auf die Ziegelwand über dem Papier hatte jemand mit tropfender roter Farbe in mannshohen Buchstaben ein einziges Wort

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