Racheklingen
geschrieben:
Rache.
Monza schluckte und fühlte sich noch unbehaglicher denn je. Vorbei an den endlosen Hafenanlagen, vor denen auf den Wellen der großen Bucht Fischkutter, Vergnügungsjachten und Kauffahrer aller Größen und Bauweisen aus den verschiedensten Ländern des Weltenrunds schaukelten. Aus der Entfernung wirkte die Takelung der Schiffe wie Spinnennetze, in die zahllose Seeleute aufgeentert waren, um zu sehen, wie die Schlange von Talins die Stadt für sich einnahm.
Genau, wie Orso gefürchtet hatte.
Cosca fühlte sich pudelwohl.
Es war heiß, aber eine kühlende Brise wehte von der schimmernden See herüber, und sein Hut, das neueste Exemplar seiner beständig wachsenden Sammlung, beschattete perfekt seine Augen. Es war gefährlich, denn in einer Menge wie dieser konnte sich mehr als ein eifriger Meuchelmörder verstecken, aber ausnahmsweise war er jetzt gerade von zahlreichen, wesentlich verhassteren Zielen umgeben. Natürlich, ein Schnaps, ein Schnaps, ein Schnaps – die Stimme des Trinkers in seinem Kopf verstummte nie völlig. Aber es war jetzt nicht mehr so sehr ein verzweifelter Schrei, nur noch ein grantiges Brummen, und der Jubel um ihn herum half, es zu überhören.
Abgesehen vom leichten Seetanggeruch in der Luft war es ganz ähnlich wie in Ospria nach seinem berühmten Sieg in der Schlacht der Inseln. Als er ganz vorn in der Kolonne geritten war, sich in den Steigbügeln aufgestellt und den Beifall entgegengenommen, die Hände gehoben und »Aber bitte, nicht doch!« gerufen hatte, obwohl er natürlich »Mehr, mehr!« meinte. Damals war es Großherzogin Sefeline gewesen, Rogonts Tante, die sich im Schein seines Ruhms gesonnt hatte, nur ein paar Tage, bevor sie dann versucht hatte, ihn vergiften zu lassen. Nur ein paar Monate, bevor das Schlachtenglück sich gegen sie gewandt hatte und sie selbst vergiftet worden war. So war es nun einmal in der styrischen Politik. Für einen kurzen Augenblick fragte er sich, wieso er sich damit abgab.
»Die Umgebung ändert sich, die Menschen altern, die Gesichter wechseln, aber der Applaus ist und bleibt derselbe – lebhaft, ansteckend und so überaus kurzlebig.«
»Hm«, knurrte Espe. Mit diesem Laut schien der Nordmann dieser Tage den größten Teil seiner Unterhaltungen zu bestreiten, aber Cosca kam das durchaus entgegen. Trotz seiner gelegentlichen Bemühungen, sich zu verändern, war es ihm immer noch lieber zu reden, als anderen zuzuhören.
»Natürlich habe ich Orso immer schon gehasst, aber sein Sturz bereitet mir trotzdem wenig Freude.« Eine Statue, die den Herzog von Talins in einschüchternder Größe zeigte, war in einer Seitenstraße zu sehen, an der sie gerade vorüberkamen. Orso hatte die Bildhauer seines Landes stets gefördert, solange sie ihn in ihren Werken verewigten. Vor der Statue war ein Gerüst errichtet worden, und jetzt machten sich Männer an dem Gesicht zu schaffen und schlugen die strengen Züge fröhlich mit Hämmern ab. »So schnell macht man den Helden von gestern den Garaus. Genau, wie es mit mir geschah.«
»So wie’s aussieht, bist du aber wieder da.«
»Das ist es doch, was ich meine! Wir alle sind Spielbälle der Gezeiten. Hör doch nur, wie sie Rogont und seine Verbündeten bejubeln, die hier noch vor kurzem als größter Abschaum der ganzen Welt galten.« Er deutete auf die flatternden Plakate, die an einer Mauer in der Nähe klebten und die zeigten, wie Herzog Orso mit dem Gesicht voran in eine Latrine gesteckt wurde. »Wenn man die letzte Schicht Papier dort abzöge, wette ich, dass darunter andere kleben, auf denen jene, die hier gefeiert werden, auf übelste Weise beschimpft werden. Ich erinnere mich an ein Bild, das Rogont zeigte, der auf einen Teller schiss, während Salier das Ergebnis mit einer Gabel in sich hineinschaufelte. Dann gab es noch eins von Herzog Lirozio, auf dem er versuchte, sein Pferd zu besteigen. Und wenn ich ›besteigen‹ sage …«
»He«, knurrte Espe.
»Das Pferd war nicht besonders begeistert. Wenn man noch ein paar Schichten abkratzt, dann findet man sicher welche – wie ich errötend zugeben muss –, die mich als finstersten Schurken im ganzen Weltenrund darstellten, und jetzt …« Cosca warf einigen Damen auf einem Balkon eine extravagante Kusshand zu, und sie lächelten, zeigten auf ihn und sahen ganz so aus, als betrachteten sie ihn als ihren großen Helden.
Der Nordmann zuckte die Achseln. »Die Leute haben hier kein Rückgrat. Sie fallen um, sobald sie ein
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