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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Windstoß packt.«
    »Ich bin weit herumgekommen«, wenn man die Flucht aus einem kriegsgeschüttelten Gebiet in das nächste so bezeichnen konnte, »und meiner Erfahrung nach haben die Leute anderswo auch nicht mehr Rückgrat.« Er schraubte den Verschluss seiner Feldflasche auf. »Die Menschen können hinsichtlich der Welt im Allgemeinen ganz feste Überzeugungen haben, die ihnen dann aber oft gar nicht gelegen kommen, wenn man sie auf das eigene Leben anwenden müsste. Nur wenige Leute lassen sich von ihren Moralvorstellungen an Dingen hindern, die ihnen geraten erscheinen. Oder auch nur vage vorteilhaft. Ein Mensch, der wirklich so sehr an etwas glaubt, dass ihn seine Überzeugung etwas kostet, ist wahrlich ein seltenes und gefährliches Wesen.«
    »Es ist ein ganz besonderer Narr, wer den schweren Weg geht, nur weil er der richtige ist.«
    Cosca nahm einen langen Schluck aus seiner Flasche, verzog das Gesicht und tippte mit der Zunge gegen seine Vorderzähne. »Es ist ein ganz besonderer Narr, wer überhaupt den richtigen vom falschen Weg unterscheiden kann. Mir persönlich war das nie gegeben.« Er stellte sich in den Steigbügeln auf, riss sich den Hut vom Kopf und schwenkte ihn wild durch die Luft; dabei stieß er einen wilden Jubelschrei aus wie ein Fünfzehnjähriger. Die Menge brüllte begeistert zurück. Als sei er ein Mann, den man bejubeln konnte. Und gar nicht Nicomo Cosca.
     
    So leise, dass kaum jemand etwas vernommen haben konnte, so sanft, dass die Töne fast nur in seinem Kopf erklangen, summte Schenkt eine Melodie.
    »Hier kommt sie!«
    Das erwartungsvolle Schweigen wich einem Beifallssturm. Die Menschen tanzten, warfen die Arme in die Höhe, klatschten voller hysterischer Begeisterung. Sie lachten und weinten, und sie feierten, als hätte sich ihr Leben entscheidend verändert, nur weil Monzcarro Murcatto einen gestohlenen Thron erhielt.
    Es war eine Strömung, die Schenkt in der Politik des Öfteren festgestellt hatte. Wenn ein neuer Anführer an die Macht gekommen ist, egal, auf welche Weise das geschieht, dann folgt eine kurze Zeit, in der er einfach nichts verkehrt machen kann. Eine goldene Zeit, in der die Menschen von den eigenen Hoffnungen auf Verbesserung geblendet sind. Natürlich hält nichts ewig. Im Laufe der Zeit – in den meisten Fällen alarmierend schnell – wird das fleckenlose Bild des Anführers von den kleinen Enttäuschungen, Niederlagen und Unzulänglichkeiten beeinträchtigt. Nicht lange, und er kann nichts mehr richtig machen. Die Leute schreien nach einem neuen Anführer, damit sie sich wiedergeboren fühlen können. Schon wieder.
    Aber nun hoben sie Murcatto mit Jubelgeschrei in den Himmel, so laut, dass sich Schenkt, obwohl er so etwas doch schon ein Dutzend Mal erlebt hatte, beinahe selbst ein wenig Hoffnung zugestand. Vielleicht war dies ein großer Tag, der erste einer großen Ära, und er würde in den Jahren, die kommen würden, noch stolz darauf sein, dass er dabei eine Rolle gespielt hatte. Selbst wenn es eine finstere gewesen war. Manche Männer taugten eben nur für die finsteren Rollen.
    »Bei den Schicksalsgöttinnen.« Schylo, die neben ihm stand, verzog voller Verachtung den Mund. »Wie sieht sie denn aus? Wie ein verdammter vergoldeter Kerzenleuchter. Eine grelle Galionsfigur, die man mit Goldfarbe angestrichen hat, um zu verbergen, wie vergammelt sie schon ist.«
    »Ich finde, sie sieht gut aus.« Schenkt freute sich, dass sie noch am Leben war und auf ihrem schwarzen Pferd an der Spitze der funkelnden Kolonne ritt. Herzog Orso war möglicherweise schon fast erledigt, und sein Volk bejubelte einen neuen Herrscher, jetzt, da sein Palast in Fontezarmo belagert wurde. Nicht, dass das irgendeinen Unterschied machte. Schenkt hatte seine Aufgabe, und die würde er bis zum Ende ausführen, wie bitter das auch sein würde. So wie immer. Zu manchen Geschichten passte eben nur ein böses Ende.
    Murcatto ritt weiter auf ihn zu, die Augen nach vorn gerichtet, einen Ausdruck völliger Entschlossenheit auf dem Gesicht. Schenkt wäre gern vorgetreten, hätte die Menge beiseitegeschoben, gelächelt und ihr seine Hand hingestreckt. Aber es gab zu viele Zuschauer, zu viele Leibwächter. Der Augenblick, an dem er sie begrüßen würde, von Angesicht zu Angesicht, würde schon noch kommen.
    Jetzt blieb er stehen, als ihr Pferd vorüberritt, und summte.
     
    So viele Menschen. Zu viele, um sie zu zählen. Wenn Freundlich es versuchte, dann bekam er ein seltsames Gefühl.

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