Racheklingen
Vitaris Gesicht starrte ihm plötzlich aus der Menge entgegen; neben ihr stand ein hagerer Mann mit kurzem, farblosem Haar und einem ausgewaschenen Lächeln. Freundlich reckte sich in den Steigbügeln, aber ein flatterndes Banner versperrte ihm kurzzeitig die Sicht, und dann waren sie weg. Tausend andere Gesichter in einem unentwirrbaren Durcheinander. Er sah lieber weiter dem Triumphzug zu.
Wenn sie sich in der Sicherheit befunden hätten und Murcatto und Espe Sträflinge gewesen wären, dann hätte Freundlich der Blick auf das Gesicht des Nordmanns genügt, um zu wissen, dass er sie umbringen wollte. Aber sie waren nicht in der Sicherheit, leider, und hier gab es keine Regeln, die Freundlich verstand. Vor allem nicht, wenn Frauen auf den Plan traten, denn sie waren für ihn eine völlig fremde Erscheinung. Vielleicht liebte Espe sie, und dieser hungrig-wütende Blick war ein Zeichen der Liebe. Freundlich wusste, dass sie in Visserine gefickt hatten, schließlich hatte er sie deutlich genug gehört, aber dann hatte er den Eindruck bekommen, dass sie in letzter Zeit vielmehr mit dem Großherzog von Ospria herumgevögelt hatte, und er wusste nicht, welche Bedeutung das haben mochte. Das war das Problem.
Freundlich hatte das mit dem Ficken nie so richtig kapiert, und das mit der Liebe schon gar nicht. Als er nach Talins zurückgekehrt war, hatte Sajaam ihn manchmal zu Huren mitgenommen und ihm gesagt, es sei eine Belohnung. Es war ihm unhöflich erschienen, eine Belohnung abzulehnen, auch wenn er nicht besonders scharf darauf war. Er hatte allerdings meist Schwierigkeiten, überhaupt einen Steifen zu bekommen. Und der größte Genuss, den ihm diese ganze schmierige Sache überhaupt bereitete, bestand auch später darin, die Anzahl der Stöße zu zählen, bevor alles vorüber war.
Er versuchte, seine ausgefransten Nerven damit zu beruhigen, dass er die Hufschläge seines Pferdes zählte. Es schien angeraten, peinliche Verwicklungen zu vermeiden, seine Bedenken für sich zu behalten und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wenn Espe sie tötete, dann bedeutete Freundlich das schließlich nicht allzu viel. Wahrscheinlich wollten sie jede Menge Leute töten. So war das nun mal, wenn man sich in die erste Reihe drängelte.
Espe war kein Ungeheuer. Er hatte einfach nur genug.
Genug davon, wie ein Idiot behandelt zu werden. Genug davon, dass ihm seine guten Absichten immer wieder eins reinwürgten. Genug davon, auf sein Gewissen zu hören. Und sich um die Sorgen anderer zu sorgen. Und vor allem hatte er genug davon, dass seine Narbe juckte. Er verzog das Gesicht, als er mit den Fingernägeln an der alten Wunde kratzte.
Monza hatte recht. Erbarmen und Feigheit waren dasselbe. Gutes Verhalten wurde nicht belohnt. Weder im Norden noch hier, noch sonst wo. Das Leben war eine harte Nummer, und wer sich nahm, was er brauchte, der bekam eben auch etwas. Das Recht war aufseiten der Gewissenlosesten, der Verräterischsten, der Blutigsten, und wenn man sah, wie all diese Narren hier jetzt Monzas Namen riefen, dann war das der beste Beweis. Er sah, wie sie langsam an der Spitze voranritt, auf ihrem schwarzen Pferd, und ihr schwarzes Haar im Wind flatterte. Sie hatte mit allem recht gehabt, mehr oder weniger.
Und er würde sie umbringen, vor allem deswegen, weil sie jemand anderen gefickt hatte.
Er stellte sich vor, wie er sie erstach, aufschlitzte, sie auf zehn verschiedene Arten zerlegte. Er dachte an die Narben auf ihren Rippen und daran, sanft eine Klinge genau dazwischenzurammen. Er dachte an die Narben an ihrem Hals und wie gut seine Hände an dieser Stelle anliegen würden, um sie zu erwürgen. Es würde sicher schön sein, sie noch ein letztes Mal so nah zu fühlen. Seltsam, dass er ihr so oft das Leben gerettet und dabei sein eigenes riskiert hatte, und dass er nun darüber nachdachte, wie er sie am besten töten konnte. Es war, wie ihm der Blutige Neuner einst gesagt hatte – Liebe und Hass sind nur um Messers Schneide voneinander entfernt.
Espe wusste Hunderte von Arten, eine Frau umzubringen, die alle ihren Zweck erfüllten. Das Wo und Wann war es, das ihm Probleme bereitete. Sie war nun ständig wachsam und rechnete in jedem Augenblick mit einem Messer. Nicht von ihm vielleicht, aber von irgendwoher. Es gab viele außer ihm, die auf sie angelegt hatten, daran bestand kein Zweifel. Rogont wusste das, und er war mit ihr so vorsichtig wie ein Geizhals mit seinem Sparstrumpf. Er brauchte sie, um das Volk auf seine
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