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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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zuckte die Achseln. Niederlagen hatten ihn nie geängstigt. Er hatte keinen Stolz.
    »Ich brauche dich. Unbedingt. Ein guter Feldwebel ist drei Generäle wert.«
    Ein langer Augenblick des Schweigens folgte, während die Hufe ihrer Pferde laut auf dem staubigen Weg knirschten.
    »Na gut, verdammt noch mal!« Cosca nahm einen Schluck aus seinem Flachmann. »Ich habe mir alle Mühe gegeben.«
    »Ich weiß das zu schätzen.«
    »Aber du bist fest entschlossen?«
    »Ja.«
    Freundlichs größte Angst war es gewesen, dass sie ihn vielleicht nicht wieder hineinlassen würden. Aber Murcatto hatte ihm ein Dokument gegeben, das mit einem großen Siegel der Stadt Musselia versehen war. Es zählte seine Vergehen als Komplize bei den Morden an Gobba, Mauthis, Prinz Ario, General Ganmark, dem Getreuen Carpi, Prinz Foscar und Großherzog Orso von Talins auf und verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe bis an sein Lebensende. Oder zumindest so lange, bis er entlassen zu werden wünschte. Freundlich war überzeugt, dass dieser Tag niemals kommen würde. Es war die einzige Bezahlung, um die er gebeten hatte, das beste Geschenk, das man ihm je gemacht hatte, und das kostbare Schreiben steckte nun ordentlich zusammengefaltet in der Innentasche seines Mantels, gleich neben seinen Würfeln.
    »Du wirst mir fehlen, mein Freund, du wirst mir fehlen.«
    »Du mir auch.«
    »Aber nicht so sehr, dass ich dich überreden könnte, in meiner Kompanie zu bleiben?«
    »Nein.«
    Für Freundlich war das ein Nachhausekommen, auf das er sich lange gefreut hatte. Er wusste die Zahl der Bäume an der Straße, die zum Tor führte, und Wärme wallte in seiner Brust auf, als er sie wieder zählte. Erwartungsfroh richtete er sich in den Steigbügeln auf, erhaschte einen lockenden Blick auf das Torhaus, eine dräuende Ecke dunklen Mauerwerks, das über dem Grün aufragte. Die wenigsten Sträflinge wären bei dieser Architektur in Entzücken verfallen, aber Freundlichs Herz hüpfte, als er das Gebäude sah. Er wusste die Zahl der Steine über dem Torweg, hatte so lange auf sie gewartet, sich nach ihnen gesehnt, von ihnen geträumt. Er wusste die Zahl der Eisenbeschläge auf den großen Türen, er wusste …
    Freundlich runzelte die Stirn, als sie die letzte Biegung des Weges nahmen. Die Türen standen offen. Eine schreckliche Vorahnung verdrängte sein Entzücken. Was konnte ein schlimmeres Anzeichen dafür sein, dass in einem Gefängnis etwas nicht in Ordnung war, als wenn die Türen offen standen und nicht abgeschlossen waren? So etwas gehörte auf keinen Fall zur großen Routine.
    Er stieg von seinem Pferd und zog dabei zischend die Luft ein, als der Schmerz durch seinen steifen rechten Arm fuhr, der noch immer nicht ganz verheilt war, obwohl man die Schienen schon abgenommen hatte. Langsam ging er zum Tor, und beinahe hatte er Angst, hineinzusehen. Ein zerlumpt aussehender Mann saß auf den Stufen, die zu der kleinen Hütte führten, wo die Schließer hätten Wache stehen sollen. Er war allein.
    »Ich habe nichts getan!« Er hob die Hände. »Das schwöre ich!«
    »Ich habe einen Brief, unterschrieben von der Großherzogin von Talins.« Freundlich entfaltete das kostbare Dokument und hielt es hin, noch immer hoffend. »Ich soll hier sofort in Haft genommen werden.«
    Der Mann starrte ihn kurz an. »Ich bin kein Schließer, mein Freund. Ich hab in der Hütte hier nur gepennt.«
    »Wo sind die Schließer?«
    »Weg.«
    »Weg?«
    »Wegen des Aufstands in Musselia hat sie wohl niemand bezahlt, und deswegen … haben sie alles hingeschmissen und sind abgehauen.«
    Freundlich fühlte ein kaltes Prickeln des Entsetzens in seinem Nacken. »Und die Gefangenen?«
    »Haben sich befreit. Die meisten sind gleich weggerannt. Ein paar haben gewartet. Haben sich nachts in ihre eigenen Zellen eingeschlossen, das muss man sich mal vorstellen!«
    »Das muss man sich mal vorstellen«, wiederholte Freundlich sehnsüchtig.
    »Wussten wohl nicht, wo sie hinsollten. Aber irgendwann haben sie dann Hunger gekriegt. Jetzt sind sie auch weg. Es ist niemand mehr da.«
    »Niemand?«
    »Nur noch ich.«
    Freundlich sah zu dem schmalen Pfad hinauf, der über den felsigen Abhang zum Torweg führte. Alles leer. Die Säle schwiegen. Das Kreisrund des Himmels sah immer noch auf den alten Steinbruch hinab, aber es wurde nicht mehr an den Gitterstäben gerüttelt, wenn die Gefangenen des Nächtens sicher eingeschlossen wurden. Keine beruhigende Routine, die ihr Leben so fest umschloss, wie eine

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