Racheklingen
dem Saal.
Schenkt hob die Brauen, als Sulfur aus ihrem Blickfeld verschwunden war. »Er hat es gut aufgenommen.«
Ihr war nicht nach Lachen zumute. »Da ist vieles, was du mir nicht erzählst.«
»Ja.«
»Wer bist du wirklich?«
»Ich war viele Dinge. Ein Lehrling. Ein Gesandter. Jemand, der schwierige Probleme löste, und jemand, der sie schuf. Heute, so scheint es, bin ich jemand, der die Rechnungen anderer begleicht.«
»Kryptischer Scheiß. Wenn ich Rätsel raten will, dann kann ich zu einer Wahrsagerin gehen.«
»Du bist eine Großherzogin. Du könntest vielleicht sogar eine zu dir kommen lassen.«
Sie nickte zu den Türen hinüber. »Du kanntest ihn.«
»Das ist wahr.«
»Ihr hattet denselben Meister?«
»Einst. Vor langer Zeit.«
»Du hast für eine Bank gearbeitet?«
Er lächelte sein leeres Lächeln. »Gewissermaßen. Sie tun viel mehr, als Geld zu zählen.«
»Das erkenne ich allmählich auch. Und jetzt?«
»Jetzt knie ich vor niemandem.«
»Wieso hast du mir geholfen?«
»Weil sie Orso aufgebaut hatten, und ich zerstöre alles, was sie aufbauen.«
»Rache«, sagte sie leise.
»Nicht das beste aller Motive, aber auch aus bösen Motiven können gute Dinge erwachsen.«
»Und andersherum.«
»Natürlich. Du hast dem Herzog von Talins all seine Siege gebracht, und daher beobachtete ich dich und dachte darüber nach, dich zu töten, um ihn zu schwächen. Wie sich dann herausstellte, versuchte Orso das selbst zu tun. Und daher flickte ich dich wieder zusammen und wollte dich überreden, Orso zu töten und seinen Platz einzunehmen. Aber ich hatte deine Entschlossenheit unterschätzt, und du bist mir entschlüpft. Und zufällig hast du alles daran gesetzt, Orso zu töten …«
Sie rutschte ein wenig unbehaglich auf dem Stuhl ihres ehemaligen Dienstherrn herum. »Und nahm seinen Platz ein.«
»Warum einen Fluss eindämmen, der schon in die richtige Richtung fließt? Sagen wir einfach, wir haben uns gegenseitig geholfen.« Wieder zeigte er sein Totenschädelgrinsen. »Wir alle haben unsere Rechnungen zu begleichen.«
»Du hast dir bei deinen Rechnungen offenbar sehr mächtige Feinde gemacht.«
»Du hast offenbar ganz Styrien ins Chaos gestürzt.«
Das stimmte wohl. »War eigentlich nicht meine Absicht.«
»Wenn du dich einmal dazu entschließt, die Kiste zu öffnen, dann spielen deine Absichten keine Rolle mehr. Jetzt klafft diese Kiste so weit auf wie ein offenes Grab. Ich frage mich, was noch daraus hervordringen wird? Werden die rechtschaffenen Anführer aus dem Durcheinander hervortreten, um den Weg in ein helleres, schöneres Styrien zu weisen, das aller Welt ein leuchtendes Beispiel sein könnte? Oder werden wir die gewissenlosen Schatten alter Tyrannen erleben, die ihre Kreise um die blutigen Spuren der Vergangenheit ziehen?« Schenkts blasse Augen ließen nicht von ihren ab. »Was von beiden wirst du sein?«
»Das werden wir vermutlich herausfinden.«
»Das vermute ich auch.« Er wandte sich um, ohne dass seine Schritte das geringste Geräusch verursachten, zog die Türen still hinter sich zu und ließ sie allein.
ALLES GANZ ANDERS
»Das musst du nicht tun, das weißt du.«
»Ich weiß.« Aber Freundlich wollte es tun.
Cosca rutschte verärgert und hilflos auf seinem Sattel herum. »Wenn ich dir nur begreiflich machen könnte, dass die Welt hier draußen … vor unendlichen Möglichkeiten nur so strotzt!« Genau das hatte er Freundlich während des ganzen Weges zu vermitteln versucht, seit sie das unglückliche Dorf verlassen hatten, in dem die Tausend Klingen gegenwärtig kampierten. Ihm war nicht aufgegangen, dass Freundlich genau diese Tatsache längst mit vollkommener, schmerzvoller Klarheit erkannt hatte. Und er hasste es. Seine Maxime lautete: Je weniger Möglichkeiten, desto besser. Unendlich, das war schlicht viel zu viel, als dass er gut damit hätte leben können.
»Die Welt verändert sich, wandelt sich, wird neu geboren und zeigt jeden Tag ein neues Gesicht! Ein Mann weiß nie, was der nächste Augenblick für ihn bereithalten mag!«
Freundlich hasste Veränderungen. Es gab nur eines, was er noch mehr hasste, nämlich, wenn er nicht wusste, was der nächste Augenblick für ihn bereithalten mochte.
»Es gibt hier draußen alle möglichen Vergnügungen, denen man sich hingeben kann.«
Jeder Mensch hatte seine eigenen Vorstellungen von Vergnügungen.
»Sich selbst so vor dem Leben zu verschließen – das ist, als würde man sich geschlagen geben!«
Freundlich
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