Racheklingen
Murcatto sagte nichts, aber das störte nicht weiter. Morveer sprach für sie beide.
»Ihnen wurde großes Unrecht zugefügt, das kann ich sehen. Von einem Mann betrogen zu werden, der Ihnen so viel verdankt. Ihr geliebter Bruder wurde getötet und Sie … um so vieles betrogen. Mein eigenes Leben war durchzogen von schmerzhaften Nackenschlägen, das können Sie mir glauben, und von daher habe ich größtes Verständnis für Ihre Lage. Aber die Welt ist voller schrecklicher Dinge, und wir bescheidenen Menschen können sie nur … in sehr kleinem Ausmaß ändern.« Er sah mit gerunzelter Stirn zu Day hinüber, die geräuschvoll kaute.
»Was denn?«, knurrte sie mit vollem Mund.
»Bitte leise, wenn es denn schon sein muss, ich versuche hier etwas darzulegen.« Sie zuckte die Achseln und leckte sich die Finger mit unnötig lauten Schmatzgeräuschen ab. Morveer seufzte missbilligend. »Die Achtlosigkeit der Jugend. Sie wird noch lernen. Die Zeit läuft für uns alle nur in eine einzige Richtung, nicht wahr, Murcatto?«
»Verschonen Sie mich mit Ihrer verdammten Philosophie«, stieß sie mit starren Lippen hervor.
»Beschränken wir uns dann also auf das Praktische. Mit Ihrer entscheidenden Hilfe ist Orso zum mächtigsten Mann in Styrien aufgestiegen. Ich würde mir niemals anmaßen, Ihren militärischen Sachverstand zu besitzen, aber man muss nicht Stolicus sein, um zu erahnen, dass der Achterbund nach Ihrem ruhmreichen Sieg am Hohen Ufer im letzten Jahr kurz vor dem Zusammenbruch steht. Nur ein Wunder wird Visserine retten, wenn der Sommer kommt. Die Osprianer werden Friedensverhandlungen anstreben oder ausgelöscht werden, je nach Orsos Laune, und Sie wissen besser als alle anderen, dass er stets dazu neigt, Dinge zu zerstören. Zum Ende des nächsten Jahres, eventuelle Unfälle nicht berücksichtigt, wird Styrien doch endlich einen König haben. Ein Ende der blutigen Jahre.« Er leerte sein Glas und schwenkte es mit weit ausholenden Bewegungen. »Frieden und Wohlstand für alle! Und sicher eine bessere Welt? Es sei denn, man ist Söldner, nehme ich an.«
»Oder Giftmischer.«
»Im Gegenteil, wir finden auch zu Friedenszeiten ausreichend Beschäftigung. Aber so oder so, ich will damit sagen, der Mord an Großherzog Orso liegt – einmal ganz davon abgesehen, dass es sich augenscheinlich um ein unmögliches Unterfangen handelt – in niemandes Interesse. Eine solche Tat wird Ihnen Ihren Bruder nicht zurückbringen, ebenso wenig wie Ihre Hand oder Ihre Beine.« Ihr Gesicht gab nichts preis, aber das mochte ausschließlich an der Lähmung liegen. »Der Versuch wird mehr als wahrscheinlich zu Ihrem Tod führen, möglicherweise sogar zu meinem. Damit will ich sagen, dass Sie diese verrückte Idee aufgeben sollten, meine
liebe
Monzcarro. Sie müssen sich
sofort
von ihr verabschieden und keinen weiteren Gedanken daran verschwenden.«
Ihre Augen waren so gnadenlos wie zwei Schalen mit Gift. »Nur der Tod wird mich aufhalten. Mein Tod oder Orsos.«
»Egal, zu welchem Preis? Egal, zu welchem Schmerz? Egal, wer bei diesem Unterfangen zu Tode kommt?«
»Egal«, knurrte sie.
»Ich stelle fest, dass mich das Ausmaß Ihrer Entschlossenheit
durchaus
überzeugt.«
»Es ist alles egal.« Die Worte zischten hart zwischen ihren Lippen hervor.
Morveer strahlte geradezu. »Dann können wir ins Geschäft kommen. Auf dieser Basis, keiner anderen. Worauf lasse ich mich niemals ein, Day?«
»Auf Halbheiten«, antwortete seine Assistentin, die den übrig gebliebenen Kuchen auf dem Teller beäugte.
»Ganz genau. Wie viele töten wir?«
»Sechs«, erwiderte Murcatto, »Orso eingeschlossen.«
»Dann liegt mein Salär bei zehntausend Waag für jeden Untergebenen, zahlbar nach erbrachtem Nachweis seines Hinscheidens, und fünfzigtausend für den Herzog von Talins höchstselbst.«
Ihr Gesicht zuckte leicht. »Es zeugt von schlechten Manieren, solche Verhandlungen zu führen, während Ihr Kunde derart hilflos ist.«
»Manieren wären doch geradezu
albern
, wenn über Mord gesprochen wird. Aber so oder so, ich lasse niemals mit mir handeln.«
»Abgemacht.«
»Ich bin entzückt. Das Gegengift, bitte.«
Day zog den Korken aus einem Glasgefäß, tauchte die Spitze eines dünnen Messers ein wenig in die sirupartige Flüssigkeit auf dem Boden und reichte ihm dann, den Griff voran, die Waffe. Er hielt inne und sah tief in Murcattos kalte blaue Augen.
Vorsicht stand immer an erster Stelle. Diese Frau, die sie die Schlange von Talins
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