Racheklingen
nannten, war äußerst gefährlich. Hätte Morveer das nicht schon aufgrund ihres Rufs, ihrer Unterhaltung und angesichts der Aufgabe, mit der sie ihn beauftragen wollte, gewusst, dann hätte er es auch mit einem einzigen Blick erkannt. Er dachte ernsthaft über die Möglichkeit nach, ihr einen tödlichen Stoß zu verpassen, ihren Nordmannfreund in den Fluss zu werfen und die ganze Sache zu vergessen.
Aber stattdessen Großherzog Orso töten, den mächtigsten Mann in Styrien? Den Gang der Geschichte mittels Ausübung seines Handwerks in eine ganz andere Richtung lenken? Damit seine Tat, wenn vielleicht auch nicht sein Name, die Jahrhunderte überdauerte? Gab es eine bessere Krönung seiner Karriere, als schließlich das Unmögliche zu vollbringen? Allein der Gedanke ließ ihn noch breiter lächeln.
Er stieß einen langen Seufzer aus. »Ich hoffe, ich werde das später nicht bereuen.« Damit ritzte er mit der Messerspitze in Murcattos Handrücken, bis sich ein einziger Tropfen dunklen Blutes auf ihrer Haut bildete.
Binnen weniger Augenblicke zeigte sich schon die Wirkung. Sie verzog das Gesicht, als sie den Kopf langsam zur einen, dann zur anderen Seite streckte und die Gesichtsmuskeln wieder in Bewegung brachte. »Ich bin überrascht«, sagte sie.
»Ach wirklich? Worüber?«
»Ich erwartete einen Meister der Giftmischer.« Sie rieb an der kleinen Stelle auf ihrem Handrücken. »Wer hätte gedacht, dass ich stattdessen so einen kleinen Stecher bekomme.«
Morveer spürte, wie sein Grinsen verblasste. Er brauchte natürlich nur einen kurzen Augenblick, bis er seine Haltung wiedergewonnen hatte, nachdem Days Kichern nach seinem scharfen Blick verstummt war. »Ich hoffe, Ihre kurzzeitige Hilflosigkeit hat kein zu großes Ungemach verursacht. Sie vergeben mir doch, nicht wahr? Wenn wir beide miteinander arbeiten wollen, dann würde ich das nur ungern tun, während ein Schatten auf unserer Beziehung lastet.«
»Natürlich.« Sie ließ die Schultern ein wenig kreisen, während der Anflug eines ganz leichten Lächelns in ihre Mundwinkel kroch. »Ich brauche das, was Sie mir bieten können, und Sie wollen das, was ich habe. Geschäft ist Geschäft.«
»Hervorragend. Ausgezeichnet. Un…
vergleichlich
.« Morveer zeigte sein gewinnendstes Lächeln.
Aber er glaubte nicht für einen Augenblick daran. Es war eine äußerst tödliche Aufgabe und eine äußerst tödliche Dienstherrin. Monzcarro Murcatto, die berüchtigte Schlächterin von Caprile, war kein Mensch, der als besonders vergebungsvoll galt. Sie hatte ihm nicht vergeben. Nicht einmal annähernd. Von jetzt an galt: Vorsicht stand an erster Stelle, an zweiter und an dritter.
WISSENSCHAFT UND MAGIE
Espe zügelte sein Pferd oben auf der Anhöhe. Das Land vor ihnen fiel ab, ein Durcheinander dunkler Felder, zwischen denen hier und da ein geduckter Hof oder ein Dorf lagen oder eine Ansammlung nackter Bäume. Weniger als ein Dutzend Meilen entfernt erstreckte sich der Horizont des schwarzen Meeres, eine geschwungene, breite Bucht, und an ihrem Rand die bleichen Umrisse einer Stadt. Winzige Türmchen drängten sich auf drei Hügeln über den kühlen Fluten unter einem eisengrauen Himmel aneinander.
»Westport«, sagte Freundlich, dann schnalzte er mit der Zunge und trieb sein Pferd weiter an.
Je näher sie dem verdammten Ort kamen, desto mehr Sorgen machte sich Espe. Und desto wundgerittener, kälter und gelangweilter wurde er. Er warf Murcatto einen finsteren Blick zu, die allein voranritt, die Kapuze über den Kopf gezogen, eine schwarze Gestalt in einer schwarzen Landschaft. Die Pferde trabten mit klapperndem Hufschlag dahin und schnaubten. Ein paar Krähen krächzten von den kahlen Feldern. Aber niemand sprach.
Sie waren auf dem Weg hierher eine grimmige Reisegruppe gewesen. Aber schließlich verfolgten sie auch einen grimmigen Zweck. Espe fragte sich, was sein Vater wohl davon gehalten hätte. Rasselkopf, der sich an den alten Bräuchen festklammerte wie eine Muschel an einem Boot und der immer versuchte, den richtigen Weg zu finden. Einen Mann, dem man niemals begegnet war, für Geld zu töten, schien dieser Vorstellung kaum zu entsprechen, ganz gleich, wie man die Sache drehte.
Plötzlich war helles Lachen zu hören. Day, die auf dem Karren neben Morveer eingezwängt saß und einen halb aufgegessenen Apfel in der Hand hielt. Espe hatte eine Weile kein Lachen mehr gehört, und deshalb zog es ihn an wie die Motte das Licht.
»Was ist denn so lustig?«, fragte
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