Racheklingen
zunächst für das Wohlergehen seiner Männer, dann für sein eigenes, hat Stolicus gesagt.«
»Wer ist das denn?«, fragte Benna.
»Stolicus? Na, der größte General in der Geschichte!« Monza starrte den Soldaten verständnislos an. »Ein Kaiser aus alter Zeit. Der berühmteste Kaiser aller Zeiten.«
»Was ist ein Kaiser?«, fragte Benna.
Cosca hob die Brauen. »Wie ein König, nur mächtiger. Ihr solltet das hier mal lesen.« Er zog etwas aus seiner Tasche und drückte es Monza in die Hand. Ein kleines Buch mit rotem, abgewetztem und vernarbtem Einband.
»Mach ich.« Sie öffnete es und sah mit gerunzelter Stirn auf die erste Seite, während sie darauf wartete, dass er wieder ging.
»Wir können beide nicht lesen«, sagte Benna, bevor Monza ihn zum Schweigen bringen konnte.
Cosca sah sie nachdenklich an und zwirbelte ein Ende seines gewachsten Schnurrbarts zwischen Daumen und Zeigefinger. Monza erwartete, dass er ihnen nun sagen würde, sie sollten wieder zu ihrem Hof zurückkehren, aber stattdessen ließ Cosca sich zu Boden sinken und setzte sich im Schneidersitz zu ihnen. »Kinder, Kinder.« Er deutete auf die Seite. »Das hier ist der Buchstabe A.«
NEBEL UND GEFLÜSTER
Sipani roch nach Fäulnis und altem Salzwasser, nach Kohlenrauch, Scheiße und Pisse, nach schnellem Leben und langsamem Verfall. Es gab Espe das Gefühl, als müsse er kotzen, obwohl der Geruch ihm wohl weniger ausgemacht hätte, wenn er die Hand vor Augen hätte sehen können. Die Nacht war dunkel, und der Nebel lag so dicht, dass selbst Monza, die so nahe neben ihm ging, dass er sie berühren konnte, kaum mehr als einen geisterhaften Umriss darstellte. Seine Lampe leuchtete kaum weiter als zehn Pflastersteine vor seinen Stiefelspitzen, und alles war von kaltem Tau überzogen. Mehr als einmal wäre er beinahe geradewegs ins Wasser gestürzt. Das war allerdings auch kein Wunder. In Sipani versteckte sich hinter jeder Biegung Wasser.
Zornige Riesen ragten hoch vor ihnen auf, wechselten die Form, verwandelten sich in schmierige Gebäude und krochen vorüber. Aus dem Nebel erschienen Gestalten wie die Schanka bei der Schlacht von Dunbrec, die sich aber dann als Brücken, Geländer, Statuen, Wagen erwiesen. An den Straßenecken hingen Lampen an Pfosten, Fackeln brannten in Hauseingängen, erleuchtete Fenster glühten, flackerten in der Düsternis, verräterisch wie Moorlichter. Espe orientierte sich an einem Licht, linste angestrengt in den Nebel und sah plötzlich, dass ein Haus zur Seite abtrieb. Er blinzelte und merkte, dass es sich um einen Lastkahn handelte, der auf dem Kanal neben der Pflasterstraße dahinfuhr und mit seinen Lichtern in der Nacht verschwand. Espe hatte für Städte, Nebel und Salzwasser nie etwas übriggehabt. Alle drei zusammen waren wie ein schlechter Traum.
»Verdammter Nebel«, murmelte er und hielt die Lampe höher, als würde das etwas nützen. »Man kann nicht mal die Hand vor Augen sehen.«
»Wir sind hier in Sipani«, erwiderte Murcatto. »Stadt der Nebel. Stadt des Geflüsters.«
Tatsächlich war die kalte Luft voller seltsamer Geräusche. Überall erklang das Plitsch-platsch des Wassers, und Taue knarrten, während die Ruderboote über die Kanäle trieben. Glocken erklangen in der Dunkelheit, Rufe, die unterschiedlichsten Stimmen. Preise. Angebote. Warnungen. Witze und Drohungen überlappten einander. Hunde bellten, Katzen fauchten, Ratten huschten vorbei, Vögel krächzten. Kleine Ausschnitte von Musik, im Nebel verloren. Geisterhaftes Gelächter trieb auf der anderen Seite des aufgewühlten Wassers dahin, Lampen tanzten durch das Dämmerlicht, als ein Nachtschwärmer aus einer Taverne trat und die nächste Spielhölle, das nächste Bordell oder Rauchhaus aufsuchte. Um Espes Kopf drehte sich alles, und er fühlte sich elender denn je zuvor. Als sei er schon seit Wochen krank. Seit Westport.
Schritte erklangen in der Dunkelheit, und Espe drängte sich gegen eine Mauer, die rechte Hand auf dem Griff der Streitaxt, die in seinem Mantel steckte. Männer tauchten auf und gingen vorüber, streiften ihn. Auch Frauen waren dabei, eine hielt sich einen Hut auf dem hoch aufgetürmten Haar fest, als sie vorbeilief. Teufelsfratzen, mit trunkenem Lächeln versehen, eilten hurtig vorüber und verschwanden in der Nacht, während sich der Nebel hinter ihren flatternden Mänteln wieder schloss.
»Drecksäcke«, knurrte Espe hinter ihnen her, ließ die Axt wieder fahren und löste sich von der klebrigen Mauer.
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