Rachekuss
hatte.
In einem Strauß mit 18 langen roten Rosen steckte der Anmeldebogen für eine Fahrschule und Lucas hatte seiner Schwester die neueste CD von CéU geschenkt. Flora ahnte, dass ihr Bruder die CD hauptsächlich deshalb ausgesucht hatte, weil er begann, für diese zarte, hübsche brasilianische Sängerin mit den unglaublich weißen Zähnen zu schwärmen. Ihr selbst war die Musik etwas zu chillig und außerdem kam CéU aus São Paulo – der verrußten, schmutzigen Megacity östlich von Rio, in der nur gearbeitet wurde. Flora war nun mal eine stolze Carioca, wie sich die Bewohner von Rio nennen, und da nahm sie es auch in Kauf, dass jeder »Paulistano« behauptete, die Cariocas seien faule Hunde, die nur am Strand herumlungerten.
Einen Moment überlegte sie, ob sie sich statt des Führerscheins nicht lieber ein Flugticket nach Rio hätte wünschen sollen – zumal ihr Handy heute Morgen eine SMS nach der anderen von ihren Freunden aus Brasilien anzeigte. Sicher hatten sie sich alle im »Baronetti« getroffen, ihrem Lieblingsklub, auf sie angestoßen und mitten in der Nacht ihre Botschaften über den Atlantik geschickt – die dank der Zeitverschiebung direkt zum Frühstück bei Flora ankamen.
Bevor sie jedoch weiter über eventuelles Heimweh nachdenken konnte, kam schon Carina, mit der Flora nach dem Frühstück den Einkauf für die Party machen wollte. Sie würden außerdem ein paar Horror-DVDs ausleihen, zumal beinahe schon Halloween war und sie auch die Party-Deko darauf abstimmen wollten.
Sie rechneten mit ungefähr 20 Partygästen, zum größten Teil Mitschüler und ein paar Leute aus dem Volleyballverein. Flora kam sich ein bisschen komisch vor, weil sie einen Teil der Leute nicht näher kannte, aber Carina meinte, es könne gar nicht schaden, dass Flora eine Art »Einstandsparty« gab – auch, damit die Leute sehen konnten, dass Flora weder eingebildet und arrogant noch eine verschrobene Voodoo-Hexe war. Carina hatte Flora überredet, Yannik nicht einzuladen, als sie ihre Einladungen via Facebook verschickt hatte, und Flora spürte ein wenig Magengrimmen, da sie davon ausging, dass Yannik trotzdem kommen würde. Schließlich würde ihm sein Facebook-Account fett anzeigen, dass sie heute Geburtstag hatte. Flora hatte ihrer Freundin von dem Knutsch-Rückfall bisher nichts erzählt – irgendwie hatte sie Sorge, dass Carina das gar nicht witzig fände und sicher über Floras Nachgiebigkeit schimpfen würde. Na ja, vielleicht übersah Yannik den Geburtstag auch einfach, hoffte Flora, allerdings nicht wirklich ernsthaft. Die Woche über hatten sie sich immer nur kurz gesehen und sie hatten keine Gelegenheit gehabt, unter vier Augen miteinander zu sprechen. Irgendwie war Carina immer in Floras Nähe gewesen. Dafür hatte Yannik mehrmals täglich eine SMS geschickt und hin und wieder hatte Flora sie auch beantwortet.
Carina hatte Flora eine Flasche Champagner mitgebracht, auf der ein schwarz-goldenes Etikett mit der Aufschrift »Endlich 18 – Happy Birthday« prangte, und dazu ein enges schwarzes, tief dekolletiertes T-Shirt. Auf diesem war ein rundes weiß-rotes Verkehrsschild mit einer »18« aufgedruckt und darunter stand: »Achtung! Wild!« Flora war entzückt und fiel ihrer Freundin um den Hals.
Theo erbot sich, die beiden zum Einkaufen zu kutschieren, und er versprach, keine Kommentare abzugeben. Und so blieb Floras Vater im Auto sitzen, während die Mädchen den Einkaufswagen mit Bier- und Proseccokisten füllten, mit Knabberkram und Süßigkeiten und diversen italienischen Antipasti – die wären schnell hingestellt und machten auch fürs Auge was her. Leticia kochte in der Zeit einen großen Topf Feijoada, ein brasilianisches Nationalgericht mit schwarzen Bohnen, viel Fleisch, aber auch Orangen. Es würde eine gute Grundlage zum Alkohol abgeben.
Lucas war sauer, dass er nicht mitfeiern durfte und stattdessen mit seinen Eltern zu einem stinklangweiligen Abendessen nach Bamberg musste, aber Theo versprach, dass er sich als Ausgleich bald ein Spiel des 1. FC Nürnberg im Stadion anschauen dürfte, und Lucas war einigermaßen zufrieden.
Nachdem die Familie Harnasch – tatsächlich ohne irgendwelche Ermahnungen auszusprechen – aufgebrochen war, schmückten Flora und Carina das Wohnzimmer mit grellem Halloween-Dekokram: Gruselmasken, Plastikspinnen und künstlichen Spinnennetzen. Sie hatten passend das Original des Filmklassikers »Halloween« besorgt, dazu alle Teile der »Scream«-Reihe und
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