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Rachekuss

Rachekuss

Titel: Rachekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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Besitz genommen und es war beinahe kein Durchkommen. Bauzäune, Kräne und Lkw, die Materialien anlieferten, versperrten den Weg. Flora wartete fröstelnd, bis ein Betonmischer endlich so weit vorgefahren war, dass sie zwischen ihm und einer Kolonne von folgenden Fahrzeugen hindurchschlüpfen konnte.
    Der weiße Transporter quietschte heftig, als der Fahrer auf die Bremse trat, um Flora passieren zu lassen. Erschrocken sah sie auf. Der Fahrer murmelte etwas, grinste entschuldigend und hob die Hände vom Steuer. Flora zuckte zusammen. Sie umklammerte den Lenker ihres Fahrrades, sprang auf den Sattel und trat heftig in die Pedale. Hupend bremste ein Pkw knapp hinter ihr ab.
    Doch Flora sah nur dieses sehr dunkle, runde Gesicht des Fahrers vor sich und sie war sicher, dass die Lippen ein Wort geformt hatten. »Desculpa« lautete es.
    So leise wie möglich, mit zitternden Knien und eiskalten Händen öffnete sie die Haustür. Sie versuchte, unbemerkt in ihr Zimmer zu schleichen, aber da ging die Badezimmertür im ersten Stock auf und ihr Vater stand vor ihr.
    »Wo kommst du her?«, zischte er und zog die Brauen verärgert zusammen.
    »Ich war bei Carina«, log sie. »Die hat zur Abwechslung mal mich gebraucht.« Es ging so einfach.
    »Ein Anruf, eine kurze SMS hätte genügt. So sind wir die halbe Nacht wach gelegen«, giftete er.
    »Mein Gott.« Flora verdrehte genervt die Augen. »Ich bin volljährig. Und mein Handy kann ich gerade nicht benutzen, schon vergessen?«
    »Ich sag euch auch, wenn ich über Nacht wegbleibe, und ich bin 56«, pampte er zurück. »Flora, das geht so nicht! Nach dem, was in den letzten Wochen alles passiert ist… wir haben gedacht, dir ist etwas zugestoßen!«
    Sie senkte den Blick. Sie wusste, dass er recht hatte.
    »Mir stößt hier dauernd etwas zu und da seid ihr auch nicht da!«, rief sie trotzdem und es war ihr völlig egal, ob sie den Rest der Familie nun auch wecken würde. Mit wenigen Schritten war sie in ihrem Zimmer oben und knallte die Tür hinter sich zu. Das hatte ihr jetzt gerade noch gefehlt, dieses Gemecker.
    Sie schnappte sich frische Klamotten und schloss sich in ihrem eigenen Bad ein. Lange ließ sie das heiße Wasser über ihren Körper rieseln. Vertrieb die Kälte, aber auch seine Berührungen. Nur die Gedanken, die sich überschlugen, die konnte sie nicht wegwaschen.
    War der Fahrer des Transporters tatsächlich derselbe, der sie im Café angerempelt hatte? Erinnere dich, Flora, erinnere dich, schien jeder Wassertropfen zu trommeln. Sie schloss die Augen. Sie sah ihre Füße unter sich, die über Asphalt geschleift wurden, sie hörte das Ratsch der Transportertür. Und sie sah ein großes dunkles Gesicht über sich. Aber da war noch ein zweites helles, viel kleineres. Und es sackte zurück in die dunklen Kanäle ihres Gehirns. Sie bekam es einfach nicht klar. Nur das Männergesicht, das blieb. Sein Schweißgeruch fiel ihr wieder ein. Doch was nützte das? Sollte sie zu dem Mann auf der Baustelle gehen und fragen: »Entschuldigung, darf ich mal an Ihnen riechen?« Super Plan!
    Vielleicht sollte sie noch einmal zu dieser Baustelle fahren und nach ihm Ausschau halten. Mehr über ihn herausfinden. Er hatte so ein freundliches Gesicht, sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er der Mann war… Flora, schimpfte sie sich. Was für ein Quatsch! Wie einfach wäre es, wenn alle bösen Menschen hässlich wären und unsympathisch wirkten.

14. Kapitel
    Auszug aus dem psychiatrischen Gutachten, Prof. Dr. W. Metzler vom 02.12. d. J.:
    »…Die Patientin berichtet, dass sie es schon immer verstanden habe, Menschen für ihre Ziele einzuspannen. Sie schrecke dabei auch nicht vor Manipulationen oder Lügen zurück. Meist sei sie damit sehr gut durchgekommen. Aus Angst, als Außenseiterin behandelt zu werden, habe sie sich oft bemüht, besonders lebensfroh und offen zu wirken, was sie enorme Kraft koste und sie oft erheblich unter Stress setze. Sie sagt, sie sei stolz darauf, dass ihr niemand ansähe, wie ›beschissen‹ es ihr tatsächlich ginge…«
    Heute war sie besonders früh in der Schule und wartete ungeduldig, dass endlich Carina käme. Glücklicherweise war ihr Vater schon fort gewesen und ihre Mutter noch im Badezimmer beschäftigt, als sie aus dem Haus ging. Lucas hatte erst eine Stunde später Schulbeginn.
    Sie gähnte die Müdigkeit fort, zog die Schultern hoch und sah sich um. Sie hatte sich nicht getraut, auf dem Weg zur Schule noch einmal an der Baustelle

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