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Rachekuss

Rachekuss

Titel: Rachekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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eines Betonmischers machte ihr klar, welchen Weg sie gewählt hatte. Sie musste wieder absteigen, um sich an der Baustelle vorbeizuquetschen. Etwas in ihr wollte schleunigst fort, doch ihre Augen huschten aufmerksam über die Bauarbeiter. Da öffnete sich neben ihr ein grüner Container und beinahe hätte die Tür sie am Arm erwischt. Sie klingelte genervt und der Arbeiter, der in der Tür stand, sah sie verwundert an. In dem weißen Overall wirkte seine Haut noch dunkler. Einen Moment fixierten sich ihre Augen. Sag was, schnell, überlegte Flora und öffnete vorsichtshalber schon den Mund. Dann fiel ihr Blick auf einen kleinen Aufnäher auf dem Overall des Mannes. »Bauunternehmung Meyer – Ihr Spezialist für ALLES« stand dort zu lesen. Flora überlief es kalt. Der Schwarze wandte sich schon zum Gehen, da endlich konnte sie etwas sagen.
    »Kennen wir uns nicht irgendwoher?«, hörte sie ihre Stimme von weit her. Der Mann, er mochte vielleicht Ende 20 sein, drehte sich zu ihr.
    »Wie?«
    »Ob wir uns nicht kennen?«, wiederholte sie nachdrücklich. Er zuckte mit den Schultern und wollte seinen Weg fortsetzen.
    »Ich hab dich schon mal gesehen. Neulich, im Café…« Der Bauarbeiter grinste breit und zeigte eine Reihe großer weißer Zähne.
    »Ich nix Café«, sagte er. »No Geld für Café. Ich nur Arbeit, Arbeit, Arbeit.«
    Flora nickte etwas beschämt.
    »Vielleicht können wir zusammen einen Kaffee trinken«, fügte sie schnell hinzu. Wieder lachte er und schüttelte gleichzeitig seinen Kopf.
    »Warum?«, fragte er.
    »Ich würde gerne mit dir reden. Vielleicht kannst du mir helfen.«
    »Nix helfen«, sagte er und seine Züge wurden ernst. »Ich Arbeit, desculpa!« Und dann ging er eilig auf einen der großen Baukräne zu.
    »Sprichst du portugiesisch?«, rief sie ihm in ihrer Muttersprache nach. »Woher kommst du?«
    »Ich bin aus Angola«, antwortete er und seine Stimme bekam einen warmen Klang, der Floras Herz berührte, als sie ihn portugiesisch sprechen hörte. Aber dann begann er, in gleichmäßigen, raschen Bewegungen die lange Leiter hinaufzuklettern, die im Inneren des Krans bis ganz nach oben führte.
    Irritiert fuhr sie zur Schule weiter. Waren das alles nur Hirngespinste? Bilder, die es nie in der Realität gegeben hatte? Aber alles, was ihr geschehen war, hatte sie doch am eigenen Leib erfahren! Oder etwa nicht? Was war nur in diesen drei, vier Stunden passiert, die man einfach aus ihrem Gedächtnis gestohlen hatte?
    Und dann stand der Aufnäher auf dem Overall des Mannes wieder vor ihrem inneren Auge – Bauunternehmung Meyer. Gehörte er vielleicht zu den Arbeitern von Carinas Onkel?
    Sie stellte ihr Fahrrad auf dem Parkplatz ab und beugte sich hinunter, um es abzuschließen. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie erschrocken zusammenzuckte, als jemand sie auf den Hals küsste.
    »Yannik«, entfuhr es ihr empört, aber sein Grinsen versetzte sie augenblicklich in bessere Laune. Sie wollte für den Moment einfach vergessen, was sie gerade erlebt hatte, und schob ihre Hand in seine. Gemeinsam schlenderten sie zum Schuleingang, vorbei an Pierre Edinger, der ihnen erstaunt hinterhersah. Vor Floras Klassenzimmer küssten sie sich noch einmal, bevor Yannik weiter zu seinem Mathematik-Kurs ging. Spätestens heute Abend im Volleyball-Training würden sie sich wiedersehen. Vielleicht auch schon vorher in der Cafeteria.
    Flora bekam nicht viel von der Stunde Geografie mit und versuchte stattdessen, ihre Gedanken zu ordnen. Sie krakelte kleine Herzchen auf die Ränder ihres Heftes und musste über sich selbst lachen. Wie mit 14! Carina war nicht da, wie so oft in der letzten Zeit. Kein Wunder, dachte Flora. Während der Lehrer etwas an die Tafel schrieb, zupfte Leonie, die hinter ihr saß, Flora am Ärmel. Flora drehte sich um und Leonie steckte ihr einen kleinen Zettel zu. Etwas unwillig nahm Flora ihn und las rasch.
    »Muss mit dir reden! Wichtig! Wann?«, stand darauf. Flora spürte nichts als Gereiztheit im ersten Moment. Was wollte diese Leonie nur von ihr? Sie wollte den Zettel schon zusammenknüllen, aber dann blieben ihre Augen doch an der Schrift hängen. Wo hatte sie die schon gesehen? Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals ein Schulheft von Leonie gesehen zu haben oder ihre Schrift an der Tafel oder sonst wo. Aber irgendwoher kannte sie diese krakeligen, kleinen Buchstaben, die viel besser zu einem Jungen gepasst hätten. Waren sie nicht auch auf einem Zettel gestanden? Hatten sie

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