Rachel ist süß (German Edition)
könnte sie nicht glauben, dass man irgendjemanden dazu zwingen konnte, den Inhalt zu essen. Ich schüttelte den Kopf und versuchte die Frage nicht seltsam zu finden. „Nein, mochte ich schon als Kind nicht.“
„Ich auch nicht.“ Sie lachte mich an und kleine fröhliche Falten machten ihre Augen zu von Kinderhänden gezeichneten Sonnen. Ich fühlte mich sommerlich und leicht. Ich mag Kaffee mit warmer Milch, dachte ich und sagte nichts. Ihr Blick glitt von mir zu den ordentlichen Reihen passierter Obst- und Gemüsesorten. „Sieht so aus, als wäre die Ordnung wieder hergestellt. Mit Ihnen ist wirklich alles okay?“
„Ja!“, sagte ich, wie jemand Ja sagt und Nein meint. Sie hörte den Unterton und bezog ihn auf meinen Sturz. „Wenn Sie noch Schmerzen haben … ich gebe Ihnen meine Adresse, falls Sie doch noch zum Arzt gehen …“
Meine Knie knickten unwillkürlich ein, als sie meinen Arm berührte. Sie sah mich besorgt an. Was sollte ich tun? Wenn ich nicht kleinlich, gebrechlich und spießig wirken wollte, konnte ich die Adresse nur mit einem charmanten Lächeln ablehnen. Was aber nützte es mir, großzügig, sportlich und lässig zu wirken, wenn ich sie danach nie wiedersah? Ich griff ziellos nach einem Glas mit irgendeinem unklaren Inhalt und sagte: „Ich denke, ich bin unverletzt, aber wenn sich kollisionsbedingte Spätfolgen einstellen, werde ich in genau einer Woche wieder hier stehen, und Sie müssen zur Strafe vor meinen Augen ein Glas von diesem …“, ich las die Beschreibung auf dem Gläschen laut vor. „… Tomaten-Risotto mit Bioschwein aufessen. Und zwar kalt!“ Sie musterte mich und die pürierten Paarhufer lachend und nickte. „Immer noch besser als Möhren. Ich schließe ihre Gesundheit in meine Nachtgebete ein und werde nächsten Freitag um …“, sie sah auf ihre Uhr, „… 17.30 Uhr wieder hier sein.“ Ihre Augen funkelten mich an. „Vielleicht sind Sie bis dahin trotz der schweren Schäden wieder in der Lage, feste Nahrung bei sich zu behalten, und ich kann sie einfach zum Essen einladen, abgemacht?“
„Abgemacht!“, antwortete ich erleichtert und verzichtete darauf, zur Bekräftigung unseres Paktes in meine Hand zu spucken und sie ihr zu reichen.
Ich hatte also so etwas Ähnliches wie eine Verabredung in der Abteilung für Babynahrung mit einer schönen Frau, über die ich nur wusste, dass sie keine Möhren mochte, und das gefiel mir sehr gut. Das wurde mir zuhause zunehmend klar, als ich enthusiastisch die aufgrund der vorangegangenen Ereignisse zutatenlose Tomatensoße rührte, als gälte es, sie in einen Strudel zu verwandeln. Die Verabredung gefiel mir natürlich, aber ich mochte auch die Tatsache, dass ich nichts über diese Frau wusste. Wissen war nämlich nicht nur Macht, sondern Wissen machte zudem auch mächtig vorsichtig. Ein nicht ganz unwichtiger Zusatz, den ich dank eines übereifrigen Freundeskreises auf die harte Tour gelernt hatte. Waren meine letzten Dates doch alle durch gründlich vorbereitete, mehr oder weniger subtile Verkupplungsversuche meines Umfeldes entstanden. Typischerweise bekam ich von meinen Lieben zu jeder Arbeitskollegin/Urlaubsbekanntschaft/Nachbarin, die sie mir vorstellten, ein detailliertes Dossier, das die Profiler der örtlichen Kriminalpolizei neidisch gemacht hätte. Ich kannte ihre Allergien und ihre Lieblingsspeisen, wusste, welche Bücher sie lasen, dass rot sie blass machte und warum sie verlassen worden waren, bevor ich auch nur die Hände meiner potenziellen neuen großen Lieben schütteln konnte. Als ich mich bei der letzten arrangierten Verabredung dabei erwischte, schon nach dem Aperitif abzuwägen, ob ich für diese Frau mein Leben lang auf Dinkelbrot und Daunendecken verzichten wollte, wusste ich, dass es so nicht weitergehen konnte.
Die stürmische Möhrengegnerin aber war anders! Bis sie mir selbst alle ihre Vorlieben und den Rest ihrer Abneigungen enthüllen würde, war sie ein Geschöpf meiner Fantasie, dem weder Gluten noch gerupftes Geflügel etwas anhaben konnte. Sie war ein großes leeres Malbuch, in dem ich eine Woche lang mutig und bunt über alle Linien hinwegmalen durfte, weil niemand sie mir bisher gezeigt hatte.
Ich ließ die dünne Soße einen Moment alleine strudeln und schnitt etwas Knoblauch. Knoblauch war im letzten Jahr eine der Hürden auf dem Weg zu einer gemeinsamen Zukunft mit der zudem noch außergewöhnlich schweigsamen Nachbarin einer Freundin gewesen. „Iss am
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