Rachel ist süß (German Edition)
besten schon am Tag vorher keinen Knoblauch mehr …“, hatte mich die Freundin vor der Verabredung gewarnt. „… sie findet den Geruch zum Davonlaufen.“ Als ich nach einer sehr langen Stunde mit der Nachbarin sicher gewesen war, dass sie alle einsilbigen Worte im Lexikon kannte, hatte ich diese Aversion mit einer Extraportion Zaziki getestet – es hatte gestimmt.
Warum meine Unbekannte wohl keine Möhren mochte? Ich schloss eine Allergie in Gedanken aus, obwohl ich sie bei Möhren begrüßt hätte. Wahrscheinlicher war wohl, dass es in ihrer Vergangenheit auch eine übereifrige Erziehungsberechtigte gab, die ebenso wie meine Mutter fest daran glaubte, dass widerwillig aufgenommene Vitamine genauso gesund waren wie freiwillig gegessene. Ich sah meine Unbekannte mit ihren damals sicher auch schon kurzen lockigen Haaren an einem riesigen Tisch sitzen und trotzig auf einen übervollen Teller zerkochter Möhren starren. Ihre Jeans waren schmutzig und am Knie kaputt, so wie es meine auch immer gewesen waren. Aus dem Nichts erschien eine andere Dreizehnjährige in der von mir erschaffenen Traum-Küche, nahm meine Unbekannte mutig bei der Hand, zog sie vom Tisch fort und die beiden rannten einfach davon und versteckten sich unter einem Baum, wo sie sich ewige Treue schworen und dass sie niemals kampflos Möhren essen würden. Dann legten sie sich ins kühle Moos dicht an den Baumstamm und flüsterten sich mit leuchtenden Augen ihre geheimsten Wünsche und verwegensten Pläne ins Ohr. Und weil sie in diesem Moment eigentlich gar nichts im Leben mehr wollten als diese wunderbare Nähe, lutschten sie feierlich abwechselnd ein klebriges Himbeerbonbon und immer, wenn sich ihre Münder kurz und süß aufeinanderdrückten, um das Bonbon zu übergeben, hofften beide inständig, dass sie für immer aneinander festkleben würden. Ich musste lächeln und stellte fest, dass ich Romantik mit Süßigkeiten noch schöner fand.
Die Frau ohne Möhren ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Vor dem Einschlafen sah ich ihr Sonnenlächeln vor mir und fragte mich, wer wohl die erste Frau war, die sie geküsst hatte. Noch bevor ich mir diese allerdings vorstellen konnte, fielen mir die Augen zu, und ich träumte die ganze Nacht von Bioschweinen, die sich weigerten, in ihre Gläser zu gehen und es Dank einer von sprechenden Himbeerbonbons organisierten Demonstration schafften, dass ihr Platz in der Babynahrungskette von lauter stummen Möhren eingenommen wurde.
Am nächsten Morgen versüßte mir meine Unbekannte die unvermeidliche Joggingrunde, weil ich mir vorstellte, dass sie bei ihrer ersten Erfahrung mit einer anderen Frau so rührend schüchtern gewesen war. Sie war gerade sechzehn geworden und hatte erschreckt ihre Hand weggezogen, als das Mädchen, das sie heimlich anbetete, endlich ihre Finger mit den ihren verflochten hatte und dann hatte sie eine Ohnmacht vorgetäuscht, als diese fremde weibliche Zunge vorsichtig über ihre trockenen Lippen gestrichen war. Nächtelang hatte sie danach sehnsüchtig von dem geträumt, was nicht passiert war und trotzdem gehofft, dass diese Gefühle einfach wieder verschwanden.
Ab Mittag gefiel sie mir furchtlos besser. Sie hatte mit neunzehn auf der Schulabschlussfahrt ganz wild vor Liebe, Sehnsucht und Mut die junge Referendarin nachts in deren Jugendherbergszimmer aufgesucht und sie spielerisch zwischen Waschbecken und Etagenbett in die Enge getrieben, bis die Arme gar nicht mehr anders konnte, als ihre verbotenen Gefühle einzugestehen. Und dann hatte sie den ersten großen Schritt über Regeln, Verbote und Ängste hinweg gemacht und ihre Wange ganz zart an die Referendarinnenwange gedrückt. Ihre Zunge hatte den wunderschönen Mund, der sie schlaflose Nächte, einen Punkt in der schriftlichen und eine ganze Note in der mündlichen Prüfung gekostet hatte, endlich geöffnet und ihm kleine, hilflose Seufzer entlockt. Die atemlos geflüsterten Sätze „Wir können doch nicht, wir dürfen doch nicht, du bist doch …“ waren von ihren Händen auf der warmen Haut vorsichtig durchgestrichen, übermalt und weggewischt worden. Einmal ineinanderversunken, hatten sie mühelos über das schmale Etagenbett mit der harten weißen Bettwäsche und die grelle Neonbeleuchtung hinweggeliebt. Ich fühlte Eifersucht, als ich die beiden mit wundgeküssten Lippen und seligem Lächeln beim morgendlichen Hagebuttentee sitzen sah, und verpasste ihnen ein paar schmerzhafte blaue Flecken vom wiederholten
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