Rachel ist süß (German Edition)
Teil des Lokals über einer Entenleberterrine an Apfelkaramel gefunden hatten. Sie sah auf die Uhr. Halb neun. Er war zu spät und hatte nicht angerufen. Wenn er gar nicht mehr käme, bliebe ihr das Thema Liebe heute möglicherweise erspart. Sie musterte noch einmal die verschlungene Finger des Paares, die im Halbdunkeln dicht über der aufwändig garnierten, rosagräulichen Paste schwebten. In Anwesenheit anderer Menschen war man vor dem Thema Liebe nie wirklich sicher. Schon gar nicht, wenn der Mann auf der anderen Tischseite in Marens Augen, ihrem Ausschnitt oder ihren Haaren irgendetwas entdeckt hatte, das in sein Beuteschema passte. Lass uns darüber reden, was du wirklich willst, dachte Maren bei jedem dieser Dates, wenn sie die bedeutungsvolle Stille vor der verhassten Frage ertrug. Aber immer beugten sich der gepflegte Anzug, das legere Hemd oder der teure Pullover auf der anderen Tischseite selig lächelnd, fröhlich zwinkernd und selbstgefällig grinsend über den Tisch und fragten: „Glauben Sie an die große Liebe?“
Im Laufe der Zeit hatte sie gelernt, so zu lächeln, dass die Männer es für vielsagend hielten, was es auf eine leider völlig unverstandene Art in der Tat auch war.
Ihr Lächeln sagte: „Mein Gott, bist du vorhersehbar“ oder „Könntest du mich vielleicht etwas weniger langweilen“ oder „Schon wieder jemand, der eine Schwäche für Marktforschung hat.“
Das Thema Liebe interessierte sie nicht, egal in welcher Verkleidung es daherkam. Sie mochte nicht über die große, die kleine, die unerwiderte, die vergangene oder die erste Liebe reden. Sie wollte ihr nicht nachspüren, sie ergründen, verdammen oder besingen, aber sie lebte in einer Welt, die davon besessen war. Sie war dreißig geworden, hatte sich ein Leben geschaffen, das ihr gefiel, hatte Beziehungen gehabt und wieder verloren, ohne dass diese gründlich diskutierte Emotion sie befallen hätte, und sie war sich von daher sicher, als einer der wenigen Menschen dagegen immun zu sein. Warum sollte sie ihre Zeit damit verschwenden zu diskutieren, ob das Glas halb leer oder halb voll war, wenn für sie feststand, dass es kein Glas gab.
Mit ihrer heutigen Verabredung war in den letzten Monaten eigentlich alles ganz nach ihren Bedürfnissen verlaufen. Sie hatten sich auf einer Konferenz kennengelernt, eine Nacht miteinander verbracht und sich seitdem ab und zu getroffen. Die Tatsache, dass dieser Mann seine große Liebe vor vielen Jahren geheiratet hatte und seitdem regelmäßig mit anderen Frauen schlief, hatte ihn erstaunlicherweise nachdenklich genug gemacht, um von ihr, seiner neusten Eroberung, bis jetzt kein Glaubensbekenntnis zu verlangen.
„Glauben Sie an die große Liebe?“ Maren fragte sich einen Moment, ob ihre Gedanken endlich unabhängig von ihr sprechen gelernt hatten, und freute sich, dass sie so eine angenehme Stimme besaßen, aber dann sah sie die attraktive Frau, die an ihrem Tisch stehengeblieben war und sie wütend musterte.
Es überraschte sie keine Sekunde, dass es zu einer solchen Begegnung kam. Sie hatte immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Männer ihre Geheimnisse schlampig hüteten. Die fremde Frau, deren Knöchel sich weiß aus den zu Fäusten geballten, schlanken Händen drängten, war in Wirklichkeit viel schöner als auf der kleinen unscharfen Fotografie, die ihr Mann verschämt in seiner Brieftasche trug. Die weichgezeichnete Feminität dieser Aufnahme wurde ihrer herben Schönheit nicht annähernd gerecht. Sie war groß, knabenhaft schlank und ihre dunklen Haare waren zu einem lässigen Zopf gebunden, der den Blick auf ihre harmonischen Gesichtszüge und die auffallend hellen Augen freigab, die sie jetzt böse ansahen. Maren erwiderte den funkelnden Blick, ohne zu blinzeln oder die Lider zu senken, und auch die blassgrünen Augen auf der anderen Seite wichen keinen Millimeter. Nichts an diesem Kontakt hatte die geplante Intimität der tiefen Blicke, die sie mit Männern tauschte, nichts sank ineinander oder schmolz dahin. In der Arena ihrer aneinander gefesselten Augen standen sich Maren und die Ehefrau ihres derzeitigen Geliebten wachsam und kampfbereit gegenüber, zwei einsame Kriegerinnen mit glänzenden Rüstungen und scharfen Waffen, die den Kampf nicht gesucht hatten, aber auch nicht fürchteten. Ein eigenartiges Gefühl von Freiheit machte sich in Maren breit. Sie riss sich fast widerwillig aus dem fremden Blick und deutete auf den leeren Stuhl an ihrem
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