Rachel ist süß (German Edition)
so hätte ich wahrscheinlich völlig unschuldig geantwortet: Ich will Frauen Kassetten aufnehmen, sie wollen das nicht. Und ehrlich gesagt, wenn man einige körperliche Aktivitäten übersah, die ich mir heimlich von meinen sorgfältig gemischten Gefühlen erhoffte, war das auch der Unterschied.
Bei diesem, meinem ersten Versuch schien ich eigenartigerweise geglaubt zu haben, dass sich meine Sehnsüchte mit einem Einrichtungstipp von Jürgen Drews ( Ein Bett im Kornfeld ) wie von selbst erklärten. Zur Sicherheit hatte ich noch die englische Originalfassung Let your love flow direkt dahinter gelegt und nach vielen anderen Stücken, in deren Refrain die Liebe schmerzte, in der Luft lag oder sich aufwändig verabschiedete, die Rückseite mit der Warnung Don’t go breaking my heart abgeschlossen. Unnötig zu erwähnen, dass diese spezielle Mischung ihre Wirkung verfehlte und die Adressatin, eine herb schöne Studienrätin, mit den Fächern Sport und Erdkunde, nicht dazu veranlasste, ihren Mann zu verlassen und sich mit mir zwischen Weizenhalmen zu wälzen.
Da ich bei meinem nächsten Versuch zwar schon volljährig, aber immer noch weiblich ungeküsst war, konnte eine einstündige Kassette den Soundtrack meines überquellenden Herzens nicht mehr fassen. „Kannst du mir mal was aufnehmen?“, hatte das Objekt meiner Begierde nach einem Blick auf meine Plattensammlung scheinbar arglos gefragt und damit das zaghafte Glühen in meinem Inneren in ein loderndes Feuer verwandelt. Konnte ich „was“ aufnehmen? Konnte ein Ritter einen Drachen töten? Konnte ein Prinz eine Dornenhecke zerschlagen?
Ganze neunzig Minuten bemühte ich jede Ode an die Liebe und knüpfte daraus einen gewaltigen Klangteppich der unerfüllten Leidenschaften. Ich ersetzte direkt zum Auftakt den wirkungsarmen Jürgen Drews durch Peter Maffay, obwohl ich nicht sechzehn und sie nicht einunddreißig war. Aber es war immerhin Sommer und etwas Abstraktionsvermögen traute ich meiner Angebeteten durchaus zu. Mit heißen Wangen ließ ich dann verkünden, das One of us sehr einsam war, um am Ende des Bandes zuzugeben, that Words don’t came easy to me . Zunehmend berauscht von soviel ehrlichen Emotionen durfte Barbra Streisand als Erste auf Seite zwei, stellvertretend für uns beide, erklären, was eine Woman in Love so alles tun würde. Und das war, so weit ich dem englischen Text folgen konnte, eine ganze Menge. Irgendwo in der Mitte der zweiten Seite müssen mir dann bei Love hurts wieder Zweifel gekommen sein, denn kurz bevor die Kassette endgültig zu Ende war, brachte ich noch große Teile von Do you really want to hurt me? unter. Ich hüllte das Manifest meiner Liebe äußerst sorgfältig in einen selbst gebastelten Umschlag und übergab es der Angebeteten so beiläufig wie möglich. „Cool“, sagte sie und ließ die Kassette in ihrer Tasche verschwinden. Zwei lange Wochen wartete ich darauf, dass die Macht meiner Harmonien ihre Hormone in Wallung brachten, bis sie auf einer Party nebenbei erklärte, dass sie lieber schnellere Musik höre und die Kassette nur zum Knutschen mit ihrem Freund einlege. Dafür wäre sie allerdings echt super. Bei dem Gedanken, welche Aktivitäten meine Sehnsuchtssinfonie begleitete, wurde mein Herz zu einem Gletscher, der in der Folgezeit schon beim Klang einzelner Lieder große, kalte Stücke kalbte.
Zum Glück endete das Leben der chromdioxierten Leidenschaften damals meist schnell in einer gehörigen Portion Bandsalat. Und so durfte ich gegen Ende des Sommers in einer Mischung aus Schmerz und Genugtuung mit ansehen, wie meine Traumfrau die Reste meiner unerklärten Liebe gleichgültig aus den Tiefen ihres Autokassettengerätes pulte.
Aus diesem Fehler wurde ich allerdings nicht klug, sondern verschleuderte noch einige Tonträger an die falschen Frauen, bis die Erste einem Mix aus englischen Balladen, deutschen Liedermacherinnen und französischen Chansons erlag. Eine Mischung, die heute sicherlich eine andere Reaktion hervorrufen würde. Überhaupt ist der Reiz des leidenschaftlichen Mischens mit den Jahren verwässert worden. Aus dem stundenlangen sehnsüchtigen Aussuchen, liebevollen Ordnen und Aufnehmen der Kassetten, bei dem man die Kraft jeder Powerballade in Echtzeit durchleiden musste, sind mit den Jahren ein paar Minuten vor dem CD-Player und neuerdings wenige Sekunden vor dem PC geworden. Wenn ich heutzutage sehr verliebt bin, ziehe ich einfach nur die Playlist, die beim letzten Mal
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