Rachel ist süß (German Edition)
einer solchen Tat aufgeklärt hätte. „Achtung! Die konsequente Ahndung ehelicher Untreue gefährdet ihren Nachtschlaf und ihre Gesundheit“ wäre zum Beispiel ein schönes und hilfreiches Schild am Eingang zum örtlichen Standesamt gewesen.
In den ersten Wochen hatte sie gar nicht geschlafen, dann hatte sie anfallartig geschlafen und schlecht geträumt. Logischerweise war sie übernächtigt und verwirrt durch zu helle Tage getaumelt, um dann wieder in der Nacht nicht schlafen zu können. Immer öfter war es ihr schwer gefallen, die Realität ihrer Arbeit aus diesem ermüdenden Taumel herauszutrennen. Manchmal waren die süßen, leuchtend schwarzen Lakritzwesen, die sie zu jeder Tages- und Nachtzeit aß, die einzigen Punkte in ihrem Leben, von denen sie ganz sicher war, dass sie existierten.
Eines Morgens nach einem besonders wirren Traum hatte sie begonnen, die Meldungen aus den Einzelseiten herauszukopieren und auf ihrem Desktop nach Städten zu ordnen. Sie hatte das Gefühl, dass sie irgendeinem Bereich in ihrem Leben etwas Ordnung geben sollte, und dieser erschien ihr einfacher als der Kampf mit der Bügelwäsche oder dem Schmutzgeschirr.
Auch zusammengestellt ergab sich bei den Meldungen auf den ersten Blick zwar kein Muster, aber immerhin so etwas wie eine regionale Grenze. Alles geschah wie zufällig, alles in der Nacht, aber nichts geschah außerhalb der riesigen Industrieregion, in der sie lebte. In der Redaktion hatten die Kollegen sie ausgelacht. Eine Kollegin riet ihr in einem Gespräch, das sie nicht gesucht hatte, doch einfach intensiver nach einer neuen Beziehung zu schauen. „Ich habe nach meiner ersten Scheidung auch zu viel Energie in die Arbeit gesteckt, aber langfristig bringt so etwas für eine Frau nichts, weißt du. Du könntest dir auch vorübergehend ein Hobby suchen. Reiten zum Beispiel.“
Der Chefredakteur hatte ihr väterlich und abschließend die Schulter getätschelt und sie zu einer Geschichte über freiwillige Helferinnen in Krankenhäusern überredet. Sie hatte die Story geliefert und die Gelegenheit genutzt, um sich, nach einem kurzen, aber informativen Gespräch mit einer völlig überarbeiteten Krankenschwester vom Nachttisch eines fest schlafenden älteren Herrn dessen Abendration an Schlafmitteln zu leihen. Wie sich herausgestellt hatte, halfen die Pillen nicht, sondern ließen den Rest ihrer Realität nur noch ein wenig stärker verschwimmen.
In jeder neuen Nacht hatte sie die Meldungen auf ihrem PC in neue Tabellen geschoben, hatte sie nach Zeiten, nach Orten, nach Taten, geordnet. Wenn sie nicht schlafen konnte und nicht träumen wollte, war sie mit dem Auto durch die dunklen Städte gefahren und hatte die Adressen der Tatorte gesucht. Einmal auch Tims neue Adresse, aber der Anblick der eindeutig von Frauenhand dekorierten dunklen Fensterbänke löste nicht den Schmerz aus, mit dem sie gerechnet hatte. Die gut gegossenen Topfpflanzen zwischen teurem Kunsthandwerk hatten sie belustigt schmunzeln lassen, und das hatte sie noch mehr beunruhigt.
Dann hatte sie auf einer dieser Fahrten die drei Punkte am Himmel bemerkt und ihr ganzer Körper war in Aufruhr geraten. Ihr Herz hatte plötzlich laut in einer großen Ader an ihrem Hals geschlagen und ihre Hände hatten sich zu warmen Fäusten geballt. Alles in ihr war alarmiert gewesen, aber sie hätte nicht sagen können, warum die Punkte erfolgreich waren, wo Tims geschmackvolle Fensterdekoration versagt hatte. Nachdem sie die Punkte in mehreren Nächten für kurze Momente am Himmel gesehen hatte, hatte sie vorsichtig einer Freundin davon erzählt, die das Thema allerdings nur einer kurzen Betrachtung wert fand. „Wird wahrscheinlich wieder eine neue Diskothek eröffnet oder ein Kaufhaus oder so was. Hast du schon von Jutta und Karsten gehört?“ Kendra hatte den ansatzlos folgenden Wirrungen zweier Ehepaare, die sich unauflöslich in der Langeweile ihrer Beziehungen und den Verlockungen des heimlichen Partnertausches verstrickt hatten, weder folgen können noch wollen und sich hilflos wieder ihrem eigenen Gedankenchaos zugewandt. In einem Punkt hatte die Freundin sicher recht gehabt. Seit einigen Jahren war die Eröffnung jedes größeren Unternehmens mit dem Aufstellen riesiger in den Himmel gerichteter Scheinwerfer einhergegangen, die dann tagelang in kleinen Kreisen auf den Wolken umherjagten.
Die Punkte aber standen still. Fast wie Sterne, nur zu nah und zu hell und zu …
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