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Rachel ist süß (German Edition)

Rachel ist süß (German Edition)

Titel: Rachel ist süß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bax
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selbst die blieben unsichtbar.
     
    Eines Morgens, nachdem sie sich zum zweiten Mal in der betreffenden Woche mit Migräne im Büro abgemeldet hatte und feststellte, dass sie außer einem Lebkuchenherz mit der Aufschrift „Oktoberfest 2000“ nichts mehr zu essen hatte, wählte sie die Nummer der Psychologin, die immer noch auf dem leuchtend gelben Zettel an ihrem Monitor klebte, und vereinbarte einen Termin.
     
    Auf dem Weg zu der professionellen Problemlöserin, deren Stimme ruhig und freundlich genug für einen Versuch geklungen hatte, sah sich Kendra zum ersten Mal seit langem wieder bei Tageslicht in ihrem Wagen um. Fernglas, Stoppuhr, Kompass und Straßenkarten lagen so griffbereit auf dem Beifahrersitz, als erwartete sie, dass Indiana Jones jeden Augenblick mit ihr einen verlorenen Schatz suchen wollte. Sie packte die Gegenstände vor dem Haus der Therapeutin nachdenklich in eine Tasche und schob sie unter den Beifahrersitz. Wenn jemand ihre ständig gewachsene Ausrüstung zu Gesicht bekam, würde das den Gerüchten über sie nur neue Nahrung geben und das musste nicht unbedingt sein. Diese Gerüchte waren auch ohne Nahrungsergänzungsmittel groß und fett geworden. Was die meisten ihrer Bekannten am stärksten beunruhigte, war allerdings nicht ihre Nachtaktivität, sondern ihr wachsendes Desinteresse an Männern. Sie hatte zwar brav drei Abendessen überstanden, bei denen ganz zufällig jeweils ein frisch geschiedener oder durch andere tragische Umstände lediger Mann im richtigen Alter hinter den liebevoll dekorierten Hauptspeisen gelauert hatte. Aber beim dritten Kandidaten hatte sie es nicht mehr einmal geschafft, ihn nach jedem Bissen ermutigend anzulächeln. Ihre Freundinnen machten sich Sorgen und zeigten dies taktisch unklug mit einer Flut von Warnungen, die alle das Schicksal einer Frau betrafen, die sich nach nur einer schlechten Erfahrung aus dem Brunftbetrieb zurückzog. Eine besonders ehrliche Bekannte erklärte ihr ohne einen Anflug von Humor, dass das Geburtsdatum im Pass einer Frau auch immer gleichzeitig das Verfallsdatum verriet. „Wenn zwischen deiner Geburt und deiner neuen spannenden Abendverabredung mehr als fünfunddreißig Jahre liegen, kannst du nicht mehr so wählerisch sein. Best before, verstehst du?“
     
    „Sind Sie verheiratet?“, fragte Kendra die Therapeutin deshalb als Erstes, nachdem sie auf dem bequemen Sessel auf der vorderen Seite des Schreibtisches Platz genommen hatte. Die attraktive Frau lächelte und ignorierte, dass Kendra jede Begrüßungsfloskel unterlassen hatte. „Es geht hier zwar nicht so sehr um mich, aber nein, bin ich nicht. Sind Sie es?“ Beide sahen sich einen Moment an und Kendra hatte den Eindruck, dass in diesen Augen eine Prüfung lag, die sie jetzt und hier bestehen musste. War dieser Eindruck Teil ihres wachsenden Wahnsinns, oder war das ein neuer Sinn, der sich erst in den vergangenen Wochen entwickelt hatte? Sie entschied sich für Letzteres und hielt dem Blick der auffallend hellen Augen stand. In den wachen Pupillen lag etwas, dass sie an die 87.200.000 Einträge über die Liebe denken ließ. Und daran, dass sie Sehnsucht noch nicht gegoogelt hatte. Sie wusste, sie hatte die Möglichkeit, ausführlich auf die Frage nach ihrer Ehe zu antworten und die Geschichte ihrer gescheiterten Beziehung von nun an jeden Dienstag sechzig Minuten lang in getretenen Quark zu verwandeln. Schon der Gedanke daran langweilte Kendra mehr, als sie erwartete hatte. Sie wusste, dass die Frau auf der anderen Seite ihr diesen Weg lassen würde, aber sie wusste auch, dass es eine andere Möglichkeit gab.
     
    „Ich träume von Regen“, sagte sie leise „ich trage schwarz und ich folge hellen Lichtern durch die Nacht.“  Sie sah in den fremden Augen, dass sie die Prüfung bestanden hatte.
     
    In der folgenden Nacht schlief sie ein wenig länger als gewöhnlich und träumte nichts. Im Erwachenwurde ihr bewusst, wie leichtfertig sie der Psychologin von ihren nächtlichen Fahrten, den Signalen und der Unruhe in ihrem Herzen erzählt hatte. Und ihr wurde bewusst, dass keinerlei Unverständnis in diesem Blick gelegen hatte, nur eine sanfte Sorge, die Kendra nicht wirklich zu deuten wusste. Sie war am Ende der gemeinsamen Stunde versucht gewesen zu fragen „Sie kennen den Weg, oder?“ und wusste nicht, warum sie das hatte fragen wollen. Diese Erinnerung machte sie auf eine neue Art wach, so dass sie sich anzog und wie immer durch die dunkle Stadt fuhr. Verwundert

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