Rachel ist süß (German Edition)
bemerkte sie nach kurzer Zeit, dass sie in die Straße, die zum Haus der Therapeutin führte, eingebogen war, ohne sich bewusst vorgenommen zu haben, dorthin zu fahren. Eine kleine, wohlige Gänsehaut kroch ihr am Hals hinab, über den Rücken, und sie schüttelte sich leicht. Die leicht verspiegelten Scheiben, hinter denen nichts zu erkennen war, lösten in ihr deutlich mehr Emotionen aus als Tims sichtbare botanische Bürgerlichkeit. Sie lächelte die schwarzen Lakritzkatzen in ihrer Hand vertrauenerweckend an, bevor sie sie alle auf einmal in den Mund warf und dort liebevoll zwischen den Zähnen zermalmte. Diese Geschichte mit der Übertragung in der Psychologie, von der ihr mehrere therapieerfahrene Freundinnen erzählt hatten, schien nicht nur bei männlichen Therapeuten zu funktionieren. Sie schmunzelte bei dem Gedanken, der Therapeutin in der nächsten Woche von dieser Fahrt zu erzählen, und der Gedanke an die hellen Augen machte sie endlich wohlig müde. Sie wendete und fuhr nach Hause, ohne weitere Runden zu drehen.
Während sie sich ins Bett legte und mühelos einschlief, erstrahlten die Punkte hell über Stadt. Die Psychologin drehte sich vom dunklen Fenster weg und nahm das Handy, das sie nur zu diesem Zweck besaß, aus dem Tresor. Sie drückte eine Taste und wartete. Das Display auf dem mattschwarzen Gerät leuchtete kurz auf und wurde wieder dunkel, ohne einen Ton von sich gegeben zu haben. Die Therapeutin starrte das dunkle Display noch einige Minuten sorgenvoll an und legte das Handy dann wieder sorgfältig zurück an seinen Platz.
Die beruhigende Wirkung des Gespräches mit der Psychologin ließ allerdings schneller nach, als es Kendra lieb war. Schon in der nächsten Nacht trieb die gewohnte Unruhe sie wieder aus dem Haus. In den wenigen Stunden, die sie bis dahin geschlafen hatte, wurde sie von unruhigen Träumen gequält. Schweißgebadet erwachte sie nach kurzer Zeit und nahm die Bilder ihrer Träume mit hinaus in die kalte Dunkelheit. Bilder, von einer neuen, ungewöhnlichen Intensität. Regenstürme, die sie umtosten. Schnee, der so dicht fiel, dass er sie ganz einhüllte und ein tosendes Meer, das über ihr zusammenschlug. Und immer wieder diese Augen, so hell und tief und so ungeheuer anziehend. Voller Sehnsucht versuchte sie in diesen Träumen ihre Hand auszustrecken aber sie wusste nicht, wonach, und verirrte sich im Chaos der Bilder.
Das kommt davon, wenn man darüber spricht, dachte sie wütend. Irgendwie waren die Träume jetzt realer. Sie versetzte dem Lenkrad einen unwilligen Schlag.
2 Uhr 12 zeigte ihr Handy, das sonst nur noch selten etwas zeigte. Keine Anrufe in Abwesenheit und nur wenige SMS. Tim hatte ihr, kurz nachdem er seine letzten Hemden aus ihrem Schrank genommen hatte, einmal eine von Abkürzungen völlig entstellte SMS geschickt, die wohl seine Form der Entschuldigung war. Sie hatte daraufhin den Anbieter gewechselt und ihr wurde erst jetzt klar, dass sie die neue Nummer nicht sehr vielen Leuten verraten hatte. Müde von dieser Erinnerung rieb sie sich die Augen. Ob es in der Nähe wenigstens noch irgendwo Kaffee gab? Sie schaute auf ihren Stadtplan. Eines der regional bekannten Kulturzentren, in denen unablässig nach Jahrzehnten sortierte Partys die Trauer über die vergangene Zeit der Jugend betäubten, lag ganz in der Nähe. An einem Freitag tagte dort bestimmt irgendein vergessenes Jahrzehnt, in dessen Mitte sie ungestört einen Kaffee trinken konnte. Und vielleicht war das ja auch genau der richtige Ort, um den Mann fürs Leben zu finden. Sie gähnte. Möglicherweise klammerte sich ja der Prinz, von dem sie nicht träumte, genau in diesem Moment traurig an einen der wackeligen Barhocker und summte 99 Luftballons mit.
Nachschauen kostete ja nichts. Sie parkte den Wagen und lief die dunkle Straße hinunter. Tatsächlich, freitags bis drei Uhr geöffnet und heute Frauenparty. Das senkte die Aussicht auf einen summenden Mittdreißiger natürlich erheblich, aber Kendra war froh, dass sie endlich mal eine Einlass-Voraussetzung mühelos erfüllen konnte und öffnete die Türe.
Der kleine Tisch, an dem wohl normalerweise der Eintritt kassiert wurde, war schon verlassen und vom Ende des Flures schlugen ihr gut gedämpft durch eine schwere Tür Technoklänge entgegen. Sie schaute sich nach einer Möglichkeit um, ihr Wissen über die moderne Tanzmusik nicht zwangsweise zu erweitern, und entdeckte an der linken Seite eine Tür mit der Aufschrift
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